Jürg Leuthold (ETH Zürich), Bruno Schuler (Empa)
Die Mikroelektronik auf Siliziumbasis stösst an die physikalischen Grenzen; die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen wie Sonnenlicht ist ineffizient; Beschichtungen belasten die Umwelt und das Budget; und geeignete biokompatible Materialien für medizinische Implantate sind selten. Was wie eine zusammenhangslose Aufzählung technologischer Herausforderungen wirkt, hat einen gemeinsamen Nenner: den Einsatz von 2D-Materialien als mögliche Lösung. Denn 2D-Materialien, eine Klasse von Festkörpern, die nur eine oder wenige atomare Schichten dick sind, weisen aussergewöhnliche physikalische Eigenschaften auf. Trotz bahnbrechender wissenschaftlicher Erkenntnisse stehen die Materialien erst am Anfang der industriellen Nutzung. Dank ihrer Eigenschaften sind sie aber ein potenzieller Enabler für eine Vielzahl von Hightech-Anwendungen und somit eine wichtige Grundlage für die Schweizer Industrie.
2D-Materialien gehören zu einer Klasse von Nanomaterialien, die nur aus einer oder wenigen atomaren Schichten bestehen. Innerhalb der Schicht sind die Atome über kovalente Bindungen verbunden, benachbarte Schichten werden nur durch schwache Wechselwirkungen zusammengehalten, was die Isolation von Einzelschichten ermöglicht. Die bekannteste Variante ist Graphen, eine 0,3 Nanometer dicke Einzelschicht aus Kohlenstoffatomen, die aus Graphit gewonnen wird. Es ist der dünnste bekannte Stoff, zugleich aber der mechanisch stärkste, je nach Wellenlänge, Polarisation und elektrischer Polung transparent oder absorbierend und äusserst leitfähig.
Doch Graphen ist nur ein Beispiel: Es existieren über 6000 Materialien, die stabil in zweidimensionaler Form auftreten und aus einem oder mehreren Elementen bestehen. Ihre Eigenschaften decken das ganze Spektrum an physikalischen Zuständen ab, von isolierend über halbleitend und magnetisch bis zu supraleitend und metallisch. Darüber hinaus können Lagen von 2D-Materialien, identische oder unterschiedliche, wie «atomares Lego» zu Heterostrukturen gestapelt werden. Der resultierende Stapel bildet ein künstliches Material mit neuen Eigenschaften und dem Potenzial, Miniaturisierung sowie Energie- und Ressourceneffizienz voranzutreiben.
Im Automobilsektor und in der Luftfahrt wird Graphen für die Beschichtung oder als Additiv für Kunststoffe eingesetzt, was sie zu leichten und zugleich belastbaren Materialien macht. Die Biokompatibilität von Graphen und graphenverwandten Materialien ermöglicht Anwendungen in der Biomedizin wie beispielsweise die Fertigung von neuronalen Implantaten mit Zusatzfunktionen oder die lokale Verabreichung von Wirkstoffen. In der aktuellen Forschung werden 2D-Materialien in Batterien als Leiter, in Isolatoren und Katalysatoren sowie in der Optoelektronik, Sensorik und Spintronik, der Kombination von klassischer Elektronik mit quantenmechanischen Eigenschaften der Elektronen, eingesetzt.
Die Materialklasse ist erst selten in Produkten anzutreffen, da der technologische Reifegrad noch eher tief und das Marktpotenzial unklar ist. Die Schweiz verfügt mit der ETH Zürich, der EPFL und der Empa über drei Institutionen aus dem ETH-Bereich, die Forschung zu 2D-Materialien punktuell auf Weltklasseniveau betreiben. Gelingt der Wissenstransfer in die Industrie, bieten sich der Schweiz Chancen im Markt für Komponenten und als Lieferant für Spezialbauteile wie schnelle Photodioden.
Trotz grosser Fortschritte bei der Synthese und Herstellung von 2D-Materialien steht der Sprung vom Labor in die Industrie mehrheitlich noch aus. Einer der Gründe liegt in der Skalierung der Prozesse: Im Labormassstab können Materialien höchster Qualität quasi mit dem Klebband gewonnen werden, die Herstellung von grossflächigen Schichten ist aber vorerst noch eine Herausforderung. Für Graphen gibt es mittlerweile verschiedene Firmen, welche ein- und mehrlagige Graphenschichten auf Wafer-Basis anbieten. Um das Problem der Skalierbarkeit für eine weit grössere Anzahl von Materialien zu lösen, braucht es nicht nur Materialforschung, sondern auch den Technologietransfer in die Industrie. Die industrielle Anpassung dürfte wegen des Potenzials der 2D-Materialien schnell voranschreiten.
Die Herstellung von 2D-Materialien und deren Verarbeitung zu Komponenten bedingt Reinräume, die sich Start-ups, aber auch etablierte Firmen nicht von Beginn weg leisten können. Eine Lösung ist die staatliche Erstfinanzierung eines FabLabs (kurz für fabrication laboratory, Fabrikationslabor) für Halbleiter, das von den Hochschulen und der Industrie genutzt werden kann.
Obwohl die Schweiz punktuell Forschung auf Spitzenniveau betreibt, ist die geringe nationale Vernetzung der Akteur:innen ein Innovationshemmnis. Disziplinenübergreifende Programme, die Chemie, Elektrotechnik, Materialwissenschaften, Physik und Quanteninformationswissenschaften umfassen, könnten die Kompetenzen bündeln. Komplementär wäre ein Technologietransferzentrum denkbar, um den Dialog zwischen Industrie und Forschung zu fördern.
Für die Industrie bieten sich Gelegenheiten bei der Fertigung und Charakterisierung von verschiedensten 2D-Materialien. Ein weiteres Geschäftsfeld ergibt sich bei der Herstellung von neuen Komponenten. Im Vergleich zu traditionellen Materialien können 2D-Materialien ohne hohe Investitionskosten auf fast allen Oberflächen aufgetragen werden. Demnach können kombinierte Materialien und Komponenten deutlich günstiger hergestellt werden. Zudem verfügen 2D-Materialien über einzigartige Eigenschaften, woraus sich Wettbewerbsvorteile ergeben.
Um das industrielle Potenzial der 2D-Materialien auszuschöpfen, sind Fachkräfte in den Bereichen der Halbleiter- und Nanotechnologie, der Chemie, Elektrotechnik, Materialwissenschaften und angewandten Physik erforderlich. In der Schweiz wurden in den letzten Jahren vermehrt entsprechende Fachkräfte ausgebildet.
Impulse und Förderung auf dem Gebiet der 2D-Materialien stammten in den letzten Jahren vor allem von der EU. Mit dem 2023 in Kraft gesetzten European Chips Act sollen Kernkompetenzen und eine Teilautonomie in der Halbleiterproduktion erlangt werden. Die Schweiz muss sich bemühen, Teil des entstehenden Ökosystems zu werden, um den Anschluss nicht zu verlieren. Zudem ist die EU-Förderung stark auf eine Zusammenarbeit mit europäischen Partnern und den entsprechenden Firmen ausgerichtet, weshalb in der Schweiz zwischen den Hochschulen und der Industrie nur wenige Projekte realisiert werden. Dem könnten nationale Förderprogramme entgegenwirken.
2D-Materialien sind mit wenig Aufwand herstellbar und ihre Eigenschaften können durch Anlegen von Spannungen, durch benachbarte Schichten oder andere physikalische Methoden manipuliert werden. Dadurch ergeben sich neuartige, künstliche Materialien mit optimalen physikalischen und mechanischen Eigenschaften. Dies ist nicht nur von Interesse für die Grundlagenforschung, sondern ermöglicht zahlreiche industrielle Anwendungen. In der Halbleiterindustrie könnten 2D-Materialien Silizium als Trägermaterial für Transistoren ablösen. Man verspricht sich davon nicht nur die ultimative Miniaturisierung von Transistoren, sondern auch eine signifikante Effizienzsteigerung durch eine neue Transistorarchitektur. Optisch aktive Heterostrukturen könnten die Photovoltaik revolutionieren, da sie effiziente Absorption und Energieumwandlung mit einer minimalen Menge an Material ermöglichen. Diese Eigenschaft macht sie auch für optoelektronische Schaltkreise interessant. Auch wenn momentan die Hochschulen die Entwicklung treiben und die Anwendungen grösstenteils erst im Labormassstab vorliegen, ist der Weg in die Industrie geebnet: Prognosen für den Elektronik-, Verbundwerkstoffe- und Batteriebereich erwarten in den nächsten Jahren Umsätze von bis zu einer Milliarde US-Dollars.
Das Potenzial von 2D-Materialien ist gross. Dank ihrer einzigartigen physikalischen und mechanischen Eigenschaften können sie die Batterie-, Elektronik-, Halbleiter- und Photovoltaikindustrie sowie den Leichtbau revolutionieren und in der Biomedizin neue Akzente setzen. Sie treiben nicht nur Miniaturisierung, sondern auch Energie- und Ressourceneffizienz voran und können so die Nachhaltigkeit von Produkten positiv beeinflussen. Um das Potenzial zu nutzen, braucht es in der Schweiz Anschubfinanzierung für Reinräume und nationale, disziplinenübergreifende Programme, die Wissenschaft und Industrie vernetzen und die Kommerzialisierung ermöglichen.
Chemie.de. (2024) Graphen: Wie entwickeln sich Weltmarkt und Anwendungsfelder in den nächsten Jahren?
J Fu, C Nie, F Sun, G Li, X Wie. (2023) Photodetectors based on graphene–semiconductor hybrid structures: Recent progress and future outlook.
SM Koepfli, M Baumann, Y Koyaz, R Gadola, A Güngör, K Keller, Y Horst, S Nashashibi, R Schwanninger, M Doderer, E Passerini, Y Fedoryshyn, J Leuthold. (2023) Metamaterial graphene photodetector with bandwidth exceeding 500 Gigahertz.
P Kumbhakar, JS Jayan, A Sreedevi Madhavikutty, PR Sreeram, A Saritha, T Ito, CS Tiwary. (2023) Prospective applications of two-dimensional materials beyond laboratory frontiers: a review.
MC Lemme, D Akinwande, C Huyghebaert, C Stampfer (2022) 2D materials for future heterogeneous electronics.
S Wang, X Liu, M Xu, L Liu, D Yang, P Zhou. (2022) Two-dimensional devices and integration towards the silicon lines.
A Nimbalkar, H Kim. (2020) Opportunities and challenges in twisted bilayer graphene: a review.
AK Geim, KS Novoselov. (2013) Van der Waals heterostructures.
AK Geim, KS Novoselov.(2007) The rise of graphene.
2D Materials, Graphene, Twisted Bilayer, Graphene, van der Waals Heterostructures, 2D Transition Metal, Dichalcogenides
Klaus Ensslin (ETH Zürich), Roman Fasel (Empa), Thomas Greber (Universität Zürich), Thomas Ihn (ETH Zürich), Ataç İmamoğlu (ETH Zürich), Andras Kis (EPFL), Tobias Kippenberg (EPFL), Jürg Leuthold (ETH Zürich), Patrick Maletinsky (Universität Basel), Nicola Marzari (EPFL), Ernst Meyer (Universität Basel), Alberto Morpurgo (Université de Genève), Lukas Novotny (ETH Zürich), Aleksandra Radenovic (EPFL), Christoph Renner (Université de Genève), Bruno Schuler (Empa), Tomasz Smoleński (Universität Basel), Oleg Yazyev (EPFL)
keine Angaben
Resize the browser window to see the responsive effect.
Some text..
Some text..
Some text..