Expert:innen: Alain-Serge Porret (CSEM), Felix Wunderer (Swisscom)
Die Vernetzung von ehemals nicht digitalen Geräten untereinander zum Internet of Things bietet viele Chancen im Hinblick auf Produktentwicklung und effizientere Produktionsprozesse. Um dieses Konzept erfolgreich zu implementieren, braucht es klare Visionen und ein Design, das sich an den Bedürfnissen der Nutzer:innen orientiert. Allerdings gibt es in der Schweiz im Vergleich mit China und den USA Hindernisse für Start-ups und KMU aufgrund von Regulatorien, insbesondere bei medizinischen Anwendungen. Alles in allem enthält diese Technologie grosses disruptives Potenzial. Viele IoT-Anwendungen befinden sich mittlerweile an der Schwelle zum Markteintritt oder haben diesen bereits geschafft.
Bild: Freepik
*Aktualisierte Version des Beitrags von 2023.
Das Internet of Things (IoT, deutsch: Internet der Dinge) steht für die Vision, potenziell jeden physischen Gegenstand mit dem Internet zu verbinden. Geräte, die traditionell nicht Daten verarbeitend sind, werden dabei untereinander und mit dem Internet vernetzt. Dadurch verschmelzen physische und digitale Welt. Dies ermöglicht neue Produkte und Dienstleistungen. Anwendungsbereiche des IoT sind zum Beispiel Smart Home, Smart Manufacturing und Smart Mobility.
Üblicherweise besteht ein IoT-System aus mehreren Geräten und einer Plattform, auch Application Enablement Platform (AEP) genannt. Die Geräte erheben mittels Sensoren Daten und senden diese an die Plattform, wo die Daten gesammelt und analysiert werden. Manche IoT-Geräte verfügen über Rechenkapazität, andere nicht.
Fortschritte in der Übertragungstechnologie (siehe Ultrazuverlässige Echtzeitkommunikation) und in der Entwicklung von leistungsfähigeren IoT-Geräten mit immer längerer Batterielaufzeit haben der Umsetzung in den vergangenen zwei Jahren einen deutlichen Schub verliehen. Dadurch können Prozesse automatisiert und die Ressourcennutzung optimiert werden, was Kosteneinsparungen, geringere Umwelteinwirkungen und höhere Produktivität zur Folge hat.
Das Detailhandelsunternehmen Coop zum Beispiel hat in Zusammenarbeit mit Swisscom die Kühlschränke in ihren Läden mit Temperatursensoren ausgerüstet, die den gemessenen Wert regelmässig an eine IoT-Plattform senden. Liegt der Wert ausserhalb des Normbereiches, werden sofort Massnahmen ergriffen. Was früher manuell gemessen werden musste, ist heute Teil eines kontinuierlichen Monitorings von temperaturkritischen Lebensmitteln vom Verteilerzentrum bis zum Kühlschrank im Laden.
Der Hamburger Logistikkonzern Hapag-Lloyd hat als erste Reederei über eine Million Container mit IoT-fähigen Tracking-Geräten des Schweizer Tech-Unternehmens Nexxiot sowie mit globaler Konnektivität der Swisscom ausgerüstet. Damit können die Kund:innen ihre Fracht jederzeit und überall auf der Welt verfolgen. Künftig dürften weitere Daten wie Temperatur, Luftqualität oder Erschütterungen in den Containern erfasst und verwertet werden.
Auch im Ressourcenmanagement etwa im Landwirtschaftssektor oder im Energie- und Gebäudesektor werden bereits IoT-Lösungen verwendet. Im medizinischen Bereich kann das IoT gesundheitskritische Daten von Patient:innen mittels implantierter Sensoren oder Wearables kontinuierlich überwachen und so die Qualität und Erfolgsaussichten der Versorgung signifikant erhöhen.
Je nach Anwendungsbereich liegen die Herausforderungen etwas anders. Bei medizinischen Anwendungen steht die Energieeffizienz der zumeist batteriebetriebenen Implantate im Fokus. Denn ein Batteriewechsel erfordert einen operativen Eingriff mit den damit verbundenen Risiken. Auch in Industrie- oder Infrastrukturanwendungen, die zum Teil über weite Distanzen funktionieren müssen, ist ein Betrieb ohne häufiges Aufladen oder intensive Wartung essenziell.
Zu den technologischen Herausforderungen kommen rechtlich-regulatorische Bestimmungen im Bereich des Datenschutzes und der Sicherheit hinzu. Insbesondere für die Hersteller von Medizinprodukten sind die Regulatorien sehr restriktiv. Die erforderlichen Zertifizierungen für KMU und Start-up sind in der Schweiz und in Europa nur schwer zu bekommen. Darüber hinaus verfügt die Schweiz über ein im internationalen Vergleich sehr strenges Datenschutzgesetz, das eine schnelle Implementierung vieler Anwendungen hemmt, gleichzeitig aber dafür sorgt, dass Anwender:innen und ihre Daten sicher sind.
In vielen Bereichen haben die IoT-Anwendungen noch nicht den Reifegrad erreicht, der angedacht war. Mit Innosuisse verfügt die Schweiz jedoch über ein gutes Instrument, um die Zusammenarbeit von Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu fördern. Für eine gezielte Innovationsförderung in diesem Sektor sollten Zuschüsse, Steueranreize und Investitionshilfen für KMU und Start-ups in Betracht gezogen werden.
Die Praxis zeigt, dass der Wille zur Digitalisierung und viele gute Ideen eher an der fehlenden Zeit und an einem Mangel an hauseigenen Spezialist:innen scheitern als an finanziellen Ressourcen. Hier wären Gefässe für eine fachliche Unterstützung oder Plattformen, wo Unternehmen ihre eigenen Produkte lancieren können, hilfreich.
Das Internet of Things ist mehr als eine Technologie: Es entsteht aus dem Zusammenspiel verschiedener Komponenten und Technologien und ist ein integraler Bestandteil einer umfassenden Digitalisierungsstrategie. Dadurch eröffnen sich auch neue Geschäftsfelder und Umsatzmöglichkeiten, etwa im Bereich Mobilität: Autovermieter, Carsharing-Betreiber und auch Publibike-Anbieter wickeln ihr Flottenmanagement – das heisst die Überwachung und Freischaltung – über IoT-Plattformen ab.
In der Industrie sind neue Modelle denkbar, in denen ein Maschinenhersteller seine mit IoT-Sensoren ausgerüsteten Maschinen den Kund:innen nicht mehr verkauft, sondern nur vermietet bzw. nur den Output der Maschine – den sogenannten Equipment-as-a-Service – verrechnet. So kann der Maschinenhersteller den Kund:innen eine effiziente und sachkundige Wartung bieten.
Für die Entwicklung IoT-fähiger Geräte und Maschinen benötigen Mitarbeitende eine Mischung aus technischen und fachspezifischen Fähigkeiten. Für den Betrieb und Unterhalt von eingebetteten Systemen und das Hardware-Design sind Kenntnisse über Konnektivitätsmodule, Mikrocontroller und Sensoren wichtig. In der Softwareentwicklung sind Fähigkeiten in Programmiersprachen und für die Datenanalyse Kenntnisse in Data Science, maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz (KI) erforderlich. Entscheidend für innovative und nützliche Lösungen ist zudem ein umfassendes und breites Systemverständnis.
Bei IoT-Anwendungen ist die Schweiz eher in Nischenanwendungen präsent. International führend ist China. In Europa befindet sich die Schweiz – je nach Anwendung – im hinteren oder vorderen Mittelfeld. Mit seiner starken Betonung auf Präzisionstechnik und hochwertige Fertigung hat das Land das Potenzial, auf dem IoT-Markt eine führende Rolle einzunehmen. Verschiedene inländische Unternehmen mischen bei Anwendungen für den Massenmarkt wie Konsumgütern, Kommunikation und Sensoren ganz vorne mit.
Ein weiterer Schub bei IoT-Anwendungen ist im Bereich des maschinellen Lernens und der KI zu erwarten. So ist das Schweizer Innovationszentrum CSEM an einem Forschungsprojekt für eine nachhaltige Landwirtschaft beteiligt, in dem die Dünger- und Pestizidanwendung mit Hilfe von IoT-fähigen Sensoren und KI-Unterstützung optimiert werden soll. Im Bereich der personalisierten Medizin ermöglichen Implantate und Wearables die Echtzeitüberwachung von Patient:innen. Mittels KI-unterstützter Diagnose kann zeitnah die individuell bestmögliche Behandlung eingeleitet werden – unter der Voraussetzung, dass die damit verbundenen Herausforderungen bezüglich des Datenschutzes gelöst werden.
In der produzierenden Industrie können IoT und KI die Maschinenwartung unter dem Schlagwort Predicitive Maintenance unterstützen (siehe Evidence-based Maintenance – von gewollten und ungewollten Ereignissen). Auf der KI-unterstützten IoT-Plattform werden Sensordaten mit Erfahrungswerten verrechnet, um den Zustand der Maschinen präzise zu bestimmen und nötige Massnahmen vorausschauend zu planen und schnell einzuleiten. Dadurch steigt die Lebensdauer der Maschinen. Folglich sinken die Produktionskosten, da die Maschinen weniger lang für Wartungsarbeiten stillstehen.
Intelligente Netze der nächsten Generation werden Angebot und Nachfrage im Energiesektor ausgleichen und erneuerbare Energiequellen effizienter einsetzen. Sie werden in der Lage sein, den durchschnittlichen Verbrauch genau vorherzusagen, indem sie die Gewohnheiten der Nutzer:innen verstehen und Verhaltensweisen vorhersagen.
Das Internet of Things bietet der Schweizer Industrie und Gesellschaft zahlreiche Vorteile. Zwar haben viele Anwendungen noch nicht den gewünschten Reifegrad erreicht, weil langwierige Bewilligungsverfahren für Start-ups – insbesondere im Gesundheitswesen – sowie der Fachkräftemangel die Entwicklung bremsen. Trotzdem hat das IoT das Potenzial, die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Industrie zu erhöhen, innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln und den Wandel in eine nachhaltige Wirtschaftsweise zu unterstützen.
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