Synthetische Biologie

Expert:innen: Sven Panke (ETH Zürich)

Die synthetische Biologie wird in den kommenden Jahren als Treiberin für die personalisierte Medizin wirken und die Entwicklung neuartiger Wirk- und Impfstoffe beschleunigen. Das interdisziplinäre Feld bietet dem Forschungs- und Wirtschaftsstandort Schweiz gute Chancen. Gelingt der Wissenstransfer, sind in der chemisch-pharmazeutischen Industrie Effizienzsteigerung und eine im Vergleich zu heute verbesserte Ökobilanz bei Prozessen und Produkten zu erwarten. Potenziell disruptiv sind DNA-Computer, die ebenfalls von Fortschritten in der synthetischen Biologie profitieren.

Bild: Terry Vlisidis, Unsplash

Definition

Synthetische Biologie steht für ein Teilgebiet der Life Sciences, das Prinzipien aus den Ingenieurwissenschaften anwendet, um biologische Systeme auf der Ebene von Zellen gezielt im Labor zu entwerfen, nachzubauen oder zu verändern. Ein zentraler Aspekt ist die Entwicklung von standardisierten Komponenten wie genetisches Material oder Zellhüllen, die sich gut kontrollierbar zu neuartigen Einheiten zusammenfügen lassen. Zur synthetischen Biologie gehört auch das Konstruieren minimaler Organismen, die nur über diejenige genetische Mindestausstattung verfügen, um überlebensfähig zu sein. Eine zentrale Technologie der synthetischen Biologie ist die DNA-Synthese.

Für die synthetische Biologie gelten in Bezug auf Zuverlässigkeit und Komplexität der angestrebten Entwürfe ähnliche Vorstellungen wie für die Ingenieurwissenschaften. Mit dem multidisziplinären Ansatz reicht die synthetische Biologie weit in die Bereiche Diagnostik und Materialien, ist aber genauso für die IT-Branche und chemische Industrie relevant.

Heutige und zukünftige Anwendungen

Synthetische Biologie hat in der Biotechnologie Einzug gehalten und spielt in der Produktion von komplexen Wirkstoffen eine zunehmend bedeutende Rolle. Der Antimalaria-Wirkstoff Artemisinin wird traditionell in einem teuren Verfahren aus der Heilpflanze einjähriger Beifuss extrahiert. Um den Wirkstoff künstlich herzustellen, braucht es zwölf Enzyme. Mittels synthetischer Biologie werden diese zusammen in Hefezellen exprimiert, sodass der Wirkstoff vergleichsweise günstig und skalierbar produziert werden kann. Es ist davon auszugehen, dass synthetische Biologie die klassische chemische Synthese zur Herstellung von komplexen Molekülen zumindest teilweise ablösen wird. In den letzten Jahren haben Fortschritte in der DNA-Synthese dazu geführt, dass ganze Genome mit hoher Geschwindigkeit hergestellt und verändert werden können, was sich die modernen Impfstoffe zunutze machen.

Zukünftige Anwendungen der synthetischen Biologie in den Life Sciences werden zu Treibern der personalisierten Medizin, also einer auf molekulargenetischen Untersuchungen basierenden und an bestimmte genetische Merkmale der Patient:innen angepassten Therapie. Denkbar ist die Integration von Schaltkreisen in den Körper, um diagnostisch relevante Krankheitsmarker zu erfassen und therapeutisch einzugreifen.

Synthetische Biologie kommt jedoch auch ausserhalb der Life Sciences zur Anwendung, zum Beispiel bei der Sicherstellung der Authentizität von Produkten. So werden Rohgoldbarren mit einer unsichtbaren Flüssigkeit imprägniert, die künstliche DNA enthält und für jede Mine spezifisch ist – ein fälschungssicherer Nachweis, dass das Gold eines Barrens aus einer spezifischen Mine stammt. Die Anwendung dieser patentierten Technologie Schweizer Ursprungs kann auf Diamanten, Rohmaterialien und Textilien ausgedehnt werden. Ebenfalls bahnt sich eine Revolution in den Computerwissenschaften an: DNA-Computer nutzen die Eigenheiten der Erbsubstanz zur Datenspeicherung und -verarbeitung. Man erhofft sich davon Computer mit hoher Rechenleistung; sie befinden sich aber noch im Anfangsstadium der Entwicklung und stehen vor zahlreichen Herausforderungen wie dem zuverlässigen Zugriff auf die gespeicherten Daten.

Chancen und Herausforderungen

Die Chancen der synthetischen Biologie für die Gesellschaft liegen vor allem im Bereich der personalisierten Medizin wie auch in der Entwicklung neuartiger, effizienter Medikamente und Impfstoffe. Um diese Chancen Realität werden zu lassen, müssen allerdings einige technische Herausforderungen gemeistert werden. Es braucht Fortschritte in der DNA-Synthese, um immer längere Erbgutblöcke schnell und billig zusammenzufügen. Zudem gilt es, den Einsatz atypischer Bausteine in Erbmolekülen zu testen und die resultierenden Eigenschaften zu bestimmen.

Die synthetische Biologie lebt von der Interdisziplinarität und braucht ein integriertes Netzwerk von Forschenden. Mit dem Departement für Biosysteme in Basel vereint die ETH Zürich alle Disziplinen wie Chemie, Genetik, Molekularbiologie sowie Computer- und Ingenieurwissenschaften an einem Standort. Das Departement agiert als Nukleus für neue Innovationen und die Gründung von Spin-offs. Gelingt der Transfer in die chemische und pharmazeutische Industrie, ist die synthetische Biologie ein Werkzeug, das die Effizienz steigert und die Nachhaltigkeit von Prozessen und Produkten erhöht, gleichzeitig aber auch auf das Wissen von externen Expert:innen angewiesen ist. Um ein geeignetes Umfeld zu schaffen, ist ein Wissensaustausch über die Landesgrenzen essenziell. Die fehlende Vollassoziierung mit dem EU-Rahmenprogramm Horizon Europe stellt demnach eine ernst zu nehmende Gefahr für den Standort Schweiz dar.

Die Akzeptanz bei der Bevölkerung ist hoch. Um diese nicht zu gefährden, müssen Anwendungen der synthetischen Biologie in der freien Natur streng kontrolliert werden, da deren Auswirkungen noch nicht ausreichend erforscht sind. Dazu gehört die Gene-Drive-Technologie, die dafür sorgt, dass sich eine vom Menschen gewollte genetische Veränderung schnell innerhalb einer Population ausbreitet und die zur Kontrolle von Mückenpopulationen eingesetzt wird.

Förderung

Die frühe Finanzierung des Departements für Biosysteme der ETH Zürich in Basel sowohl durch den Bund als auch durch die Regierungen der beiden Basel hat den Grundstein für den erfolgreichen Aufbau dieses Kompetenzzentrums in der Schweiz gelegt. In den kommenden Jahren müssen jedoch die fehlenden EU-Gelder kompensiert werden. Um den technischen Herausforderungen optimal zu begegnen, wäre eine grosse schweizweite Initiative auf den Gebieten der DNA-Synthese und / oder Informationsspeicherung in DNA zielführend.

Weiterführende Literatur

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