Personalisierte Ernährung

Expert:innen: Olivier Ballèvre (Nestlé Research), Diane E. Clayton (York Consumer Health GmbH)

Ernährung kann als personalisiert bezeichnet werden, wenn sie unter Berücksichtigung des genetischen und physiologischen Hintergrunds an die Bedürfnisse eines Individuums angepasst ist. Zukünftige Anwendungen finden sich in der Prävention von Krankheiten mit einem Fokus auf lebensstilbedingte Erkrankungen und als unterstützende Massnahmen in der ganzheitlichen Therapie, aber auch zur Optimierung der physischen und mentalen Leistungsfähigkeit. Aufgrund ihrer industriellen Stärken und der hohen Kaufkraft könnte die Schweiz die Rolle eines grossen Testlabors übernehmen, auf Kosteneffizienz in der Herstellung der Produkte hinarbeiten und den Wissenstransfer in weniger vermögende Länder sicherstellen.

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Definition

Personalisierte Ernährung beschreibt die Anpassung der Ernährung an das Individuum unter Berücksichtigung des genetischen und physiologischen Hintergrunds sowie des Umfelds. Das Ziel ist klar definiert: Die Analyse der Erbsubstanz, der klinischen und biochemischen Marker, des Mikrobioms, der Nahrungsaufnahme, der körperlichen Aktivität und der Körperzusammensetzung liefert messbare Richtwerte für eine individuelle, gesunde Ernährung, um Wohlstandskrankheiten, Unzulänglichkeiten in der Nährstoffversorgung und Mangelerscheinungen vorzubeugen. Der Begriff umfasst dabei verschiedene, verwandte Ansätze. Diese reichen von der gezielten Ernährung, die besondere Bedürfnisse oder Anforderungen in verschiedenen Lebensphasen berücksichtigt und aus verallgemeinerten Daten zur Gesamtbevölkerung abgeleitet wird, bis hin zur Präzisionsnahrung, welche hochindividuelle Lösungen auf der Basis von patientenspezifischen Daten darstellt. Der Begriff der personalisierten Ernährung umfasst nicht nur die eigentliche Ernährung, sondern auch Dienstleistungen und Empfehlungen.

Heutige und zukünftige Anwendungen

Personalisierte Ernährung findet heute hauptsächlich im Rahmen von Online-Handel statt. Dabei werden Produkte – mehrheitlich solche zur Nahrungsmittelergänzung – und Services verkauft, die dem persönlichen Bedarf der Kund:innen gerecht werden. Auf den Plattformen fragen die Händler nach der Geschichte, dem Lifestyle und den Bedürfnissen der Kund:innen und leiten daraus Empfehlungen für Nahrungsmittelergänzung ab. Alternativ existieren Webseiten, auf denen abhängig von der eigenen Einschätzung der persönlichen Bedürfnisse entsprechende Rezepte und Menüpläne gewählt werden können. Beide verfolgen das gemeinsame Ziel, präventiv auf das Auftreten von chronischen Zivilisationskrankheiten wie Typ-2-Diabetes einzuwirken. Aber auch Ernährungsberater:innen bieten entsprechende Dienstleistungen entweder im Rahmen von Konsultationen oder über Webseiten an. Ein gängiges Beispiel ist die Vorhersage des Bedarfs an Vitamin B12, welche auf der Analyse von wenigen Genen beruht und eine gute Erfolgsquote aufweist. Das Versprechen «Ein Individuum – ein Produkt» ist und bleibt die Ausnahme. Einzig für Haustiere könnte es in naher Zukunft eingelöst werden, da deren Ernährung meist auf nur einem Produkt basiert: Ist heute schon rassenspezifische Tiernahrung erhältlich, sind dank Automatisierung Produkte greifbar, die spezifisch auf die Bedürfnisse eines einzelnen Haustiers zugeschnitten sind und nur ca. 15 Prozent teurer sind als herkömmliche Tiernahrung.

Das Forschungsfeld der personalisierten Ernährung ist stark interdisziplinär und baut auf die Zusammenarbeit der Nahrungsmittelindustrie mit Herstellern von Diagnostika und Wearables, aber auch mit Fachkräften im Gesundheitswesen und Krankenkassen. Zukünftige Anwendungen nutzen diese Vielfalt und betreffen sowohl Lifestyle- als auch medizinische Produkte. Eine Optimierung der mentalen und physischen Leistungsfähigkeit mit personalisierter Nahrungsmittelergänzung findet heute nicht nur im Spitzensport statt, sondern trifft vermehrt auf einen zunehmend grösseren Teil der Bevölkerung zu. Diagnostische Tests für den Heimgebrauch (s. Beitrag Point-of-Care-Testing) mit fundierten, resultierenden Empfehlungen bilden die Basis dazu. Fortschritte im Verständnis des Zusammenspiels von Erbinformation und der persönlichen Situation werden dazu führen, dass eine auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Ernährung vorbeugend auf Krankheitsrisiken wirken kann und dass sie beim Auftreten von Krankheiten begleitend zu einer medikamentösen oder ganzheitlichen Therapie eingesetzt wird.

Chancen und Herausforderungen

Personalisierte Ernährung und Präzisionsnahrung bieten der Gesellschaft die Chance, den eigenen Lebensstil kritisch unter die Lupe zu nehmen, in die eigene Gesundheit zu investieren und positive Auswirkungen in der Krankheitsprävention sowie bei den Krankheitskosten zu erfahren. Dem gegenüber steht jedoch bei gewissen Bevölkerungsgruppen eine Wissenslücke in Bezug auf die Risiken der modernen Ernährungstrends und eine fehlende Motivation für Verhaltensänderungen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken würden. Um hier eine breitere Akzeptanz zu erreichen, ist Information und Bildungsarbeit zentral. Nur dann kann personalisierte Ernährung auf allen Ebenen umgesetzt werden – sei es in der heimischen Küche mit Frischprodukten, mit Nahrungsmittelergänzungen oder auch in Kantinen und bei Lieferdiensten.

Die Schweiz verfügt über eine hohe Forschungs- und Industriekompetenz in den entsprechenden Gebieten. In Kombination mit dem hohen Lebensstandard und den überdurchschnittlichen finanziellen Möglichkeiten der Bevölkerung könnte die Schweiz die Rolle eines grossen Testlabors übernehmen, auf Kosteneffizienz in der Herstellung der Produkte hinarbeiten und den Wissenstransfer in weniger wohlhabende Länder sicherstellen.

Die Analyse der individuellen Erbinformation ist zwar ein wichtiger Baustein der personalisierten Ernährung, aber nicht der einzige. Die Veränderung der Erbsubstanz als Anpassung auf Umwelteinflüsse, die Darmflora (siehe Beitrag Mikrobiom), der Lebensstil und das Alter beeinflussen die Bedürfnisse einer Person ebenfalls stark. Es braucht wissenschaftlichen Fortschritt, einen systemischen Ansatz und ein hohes Mass an Digitalisierung, um die Zusammenhänge zwischen den Faktoren zu verstehen und belastbare Empfehlungen abzuleiten. Dazu gehört auch die Entwicklung von zuverlässigen Biomarkern im Körper, die über den Gesundheitszustand Auskunft geben. Last but not least: Zudem stellt sich die Frage, wem die erhobenen Daten gehören und wie sie vor Missbrauch geschützt werden können.

Die Entwicklung von zahlbaren personalisierten Produkten ist eine Herausforderung. Der Einsatz von modernen Fertigungsverfahren wie 3D-Druck, aber auch von digitalen Technologien wie Analyse von Big Data, Automatisierung, Modellierung (siehe Beitrag Digitaler Zwilling) und Vernetzung innerhalb der Produktion (siehe Beiträge Connected Machines und Internet of Things) dürfte die notwendige Skalierbarkeit und neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Die Hersteller müssen sich aber bewusst sein, dass Anspruch und Realität in Bezug auf die zu erwartenden Wirkungen nicht auseinanderklaffen dürfen, um das Vertrauen der Kund:innen zu gewinnen und behalten zu können.

Förderung

Damit die Thematik weiter Fahrt aufnimmt, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Industrie, Versicherungen und Politik unabdingbar. In einem umfassenden Ansatz sollte die Bevölkerung für die Wichtigkeit von personalisierter Ernährung sensibilisiert werden. Denkbar sind spielerische Lernprogramme für Kinder. Es dürfte sich aus politischer Sicht lohnen, Initiativen wie das Swiss Food Nutrition Valley und die Entstehung der notwendigen Start-up-Community zu fördern. Dazu gehört auch ein adäquater regulatorischer Rahmen, der Innovation nicht hemmt, aber gleichzeitig Produkte und Kund:innen schützt. Auf politischer Ebene sollten Initiativen im Bereich der Prävention von Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, deren Entstehen respektive Behandlung nachweislich von personalisierter Ernährung profitiert, unterstützt werden.

Weiterführende Literatur

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