Expert:innen: Christophe Ballif (CSEM), Quentin Jeangros (CSEM), Maksym Kovalenko (ETH Zürich), Toby Meyer (Perovskia)
Perowskite sind eine neue Klasse von Halbleiterkristallen mit hervorragenden optischen Eigenschaften, welche die Produktion von Photovoltaikmodulen revolutionieren und die an ihre Grenzen stossenden Silizium-Solarzellen ersetzen oder zumindest ergänzen können. Die Liste der potenziellen Anwendungen ist jedoch noch viel länger und umfasst LEDs, Röntgen- und Gammastrahlendetektoren, photolumineszente Quantenpunkte und Laser. Schweizer Forschungsgruppen und Start-ups sind in der Entwicklung synthetischer Perowskitkristalle führend. Die Technologie hat die Marktreife allerdings noch nicht erlangt.
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Perowskite sind eine Klasse von natürlich vorkommenden oder synthetischen Metallsalzen mit einer charakteristischen Kristallstruktur. Die Kristalle bilden ein kubisches Gitter aus zwei unterschiedlichen positiv geladenen Ionen (A- und B-Kationen) und negativ geladene Anionen in den Gitterzwischenräumen. Die bekanntesten synthetischen Varianten sind Metallhalogenid-Perowskite (MHP), in denen Metalle wie Blei oder Zinn als A-Kationen und Cäsium oder Methylammonium als B-Kationen verwendet werden. Als Anionen werden Halogenide wie Chlorid, Iodid oder Bromid eingesetzt. Die spezifische Kristallstruktur führt zu hervorragenden optoelektronischen Eigenschaften, die sich über die Zusammensetzung flexibel verändern und steuern lassen. So sind Perowskitkristalle gute Halbleiter. Als Halbleiter werden Materialien bezeichnet, die je nach Bedingung zwischen leitend und nicht leitend wechseln. Sie funktionieren wie ein Schalter und sind ein zentrales Element für die digitale Logik der Computertechnologie. Neben dieser Eigenschaft können Perowskite auch Lichtsignale gezielt senden und empfangen, was sie für Anwendungen in der Photonik und Photovoltaik prädestiniert.
Synthetische Perowskitkristalle kommen hauptsächlich in drei Formen zur Anwendung:
Erstens als polykristalline Dünnschichtfolien in Tandemsolarzellen. Diese bestehen aus zwei unterschiedlichen Perowskitschichten oder einer Perowskitschicht und einer Siliziumschicht. Dadurch kann die Bandbreite des eingefangenen Lichts ausgeweitet werden und so der Wirkungsgrad der Umwandlung von Sonnenenergie auf über 30 Prozent erhöht werden. Konventionelle Solarzellen auf der Basis von Silizium-Monozellen erreichen weniger als 25 Prozent. Darüber hinaus eignen sich Dünnschichtfolien aus Perowskitkristallen dank ihrer starken Lichtabsorption auch als Bildsensoren für Farbkameras höchster Qualität sowohl im Konsumgütermarkt als auch in Nischenanwendungen, beispielsweise für die Überwachung von Maschinen oder als Sensoren in der Präzisionslandwirtschaft.
Zweitens können Perowskit-Nanokristalle als sogenannte Quantenpunkte, auch Quantum Dots genannt, eingesetzt werden. Diese senden einzelne Photonen mit der exakt gewünschten Wellenlänge aus, was sie zu hervorragenden Lichtquellen für Bildschirme und Leuchtdioden macht. Perowskitbasierte Quantum-Dot-Displays in TV-Bildschirmen, Leuchtfolien oder Mikro-LEDs zeichnen sich durch brillante Farben bei energieeffizientem Betrieb aus.
Drittens können Perowskite auch als bis zu 1 Zentimeter grosse Monokristalle synthetisiert werden. Diese eignen sich als hochsensible Detektoren für Röntgen- oder Gammastrahlen in der medizinischen Bildgebung oder für Anwendungen bei Sicherheitskontrollen, beispielsweise zur Durchleuchtung von Gepäck.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind erst wenige kommerzielle Produkte erhältlich. Mehrere Unternehmen kündigten einen Markteintritt mit Perowskitprodukten für die Photovoltaik an, allerdings oft mit einem zu optimistischen Zeitplan. Das Start-up Perovskia beginnt mit der Vermarktung von MHP-Solarzellen für den Internet-of-Things-Sektor (siehe Internet of Things).
Die Entwicklung im Bereich der Photovoltaik treiben sowohl Universitäten als auch zahlreiche Start-ups und etablierte Unternehmen voran. Die übrigen Anwendungen werden derzeit noch von der akademischen Forschung vorangetrieben, in der Schweiz vor allem in Forschungsgruppen an der ETH Zürich, an der Empa, an der EPFL und am CSEM in Neuenburg.
Eine grosse Herausforderung bei allen Anwendungen ist die Stabilität und Betriebszuverlässigkeit der Produkte. Solarmodule auf der Basis von MHP-Dünnschichtfolien können unter harschen Witterungsbedingungen oder bei Feuchtigkeit schon nach wenigen Hundert Stunden Betriebszeit degradieren – viel zu kurz im Vergleich zu Silizium-Solarzellen, die 25 Jahre oder länger einwandfrei funktionieren.
Die meisten MHP-Zusammensetzungen enthalten zudem geringe Mengen an Blei, das in der Entsorgung die Umwelt belastet. Die Entwicklung von bleifreien und nicht toxischen Alternativen sowie ein ausgebauter Recyclingpfad könnten den Schritt zur Marktreife für alle Perowskit-Anwendungen beschleunigen. Abhängig von der Gerätearchitektur und der Art und Weise, wie die Bleimenge berechnet wird, benötigen MHP-basierte Produkte möglicherweise eine Ausnahmeregelung in der Umsetzung der EU-Richtlinie über die Vermeidung schädigender Substanzen (Restriction of Hazardous Substances, RoHS).
In der Produktion von Solarmodulen, Messgeräten und Sensoren werden Perowskite eine wichtige Rolle spielen. Ein Geschäftsbereich ist die Fertigung von Perowskiten, ein zweiter die Fertigung von Komponenten. Im Gegensatz zu Silizium-Solarzellen, die aus hochreinen Monokristallen bei hohen Temperaturen hergestellt werden, können MHP-basierte Produkte ohne Reinraumbedingungen aus Chemikalien, Lösungsmitteln und Schmelzen bei relativ niedrigen Temperaturen von 100–150 Grad Celsius gedruckt, verdampft oder aus der Lösung abgeschieden werden und danach zu leichten und flexiblen Dünnschichtfolien verarbeitet werden. Diese lassen sich auf spezielle Masse zuschneiden und erweitern so im Vergleich zu den schweren, starren Glasplatten aus Siliziumzellen die Anwendungsmöglichkeiten von Solarmodulen, etwa in der gebäudeintegrierten Photovoltaik.
Mitarbeitende, die in der Entwicklung arbeiten, benötigen ein vertieftes Hintergrundwissen in Chemie, Materialwissenschaft, Festkörperphysik, Nanotechnologie sowie spezielle Kenntnisse über die entsprechenden Fertigungsverfahren. In der Anwendung sind Kenntnisse in der Mikrotechnik, der additiven Fertigung und der Dünnschichtabscheidung erforderlich. Je nach Anwendung ist auch Know-how im Bereich optischer Geräte, Kameradesign und Softwaredesign erforderlich.
Die Schweiz verfügt über hervorragende Ausbildungen in diesem Bereich. Trotzdem droht angesichts der raschen Entwicklung ein zunehmender Fachkräftemangel, sodass die Schweiz vermehrt auf ausländische Expert:innen angewiesen sein wird.
Bei der Entwicklung der Perowskit-Optoelektronik gehören die USA, China und die EU zu den führenden Nationen. Die Kommerzialisierung steht weltweit noch am Anfang, wobei mittlerweile erste Feldversuche und vorsichtige Skalierungsschritte unternommen werden. Schweizer Forschungsgruppen sind stark in internationalen Kooperationen mit Hochschulinstitutionen und Unternehmen engagiert.
Wenn die Lichtempfindlichkeit von MHP-Kristallen in den Infrarotbereich ausgeweitet werden kann, könnten sie künftig auch zur Überwachung der Halbleiterproduktion, in der medizinischen Bildgebung, in der Umweltüberwachung und im Bereich der militärischen Überwachung eingesetzt werden.
Perowskit-Nanokristalle können als Lichtquellen in der Quantenphysik eingesetzt werden. Als solche können sie kontrolliert einzelne Photonen erzeugen, die sich in ihren Eigenschaften bezüglich Wellenlänge, Phase und Polarisation praktisch nicht unterscheiden und für die Entwicklung der Quantenkryptografie, von Quantencomputern und in der Quantenkommunikation unerlässlich sind.
Perowskit-Monokristalle sind effiziente Strahlungsdetektoren, die beispielsweise in Computertomografen präzisere Diagnosen bei geringerer Strahlungsexposition ermöglichen. Auch in fortschrittlichen Bildgebungsverfahren in der Raumfahrt und in der militärischen Verteidigung oder für Sicherheitskontrollen sind Anwendungen vorstellbar.
Das Potenzial der Perowskite ist gross. Dank ihrer einzigartigen physikalischen und optoelektronischen Eigenschaften können sie die Photovoltaik, die Halbleiter- und Sensorikindustrie sowie optoelektronische Anwendungen auf ein neues Level bringen. Sie treiben die Miniaturisierung in diesen Bereichen an und ermöglichen eine energie- und ressourcenschonende Produktion, was die Nachhaltigkeit der entsprechenden Produkte positiv beeinflusst. Zudem bieten sie Schweizer Start-ups und KMU die Möglichkeit, sich in Nischenanwendungen einen Vorteil zu verschaffen und verringern auf europäischer Ebene die Abhängigkeit von in China hergestellten Photovoltaik-Modulen.
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Metallhalogenidperovskite, Mehrfachsolarzellen, Ionenmigration, Quantenpunkte
Christophe Ballif (CSEM), László Forró (EPFL), Fan Fu (Empa), Michael Grätzel (EPFL), Maksym Kovalenko (ETH Zürich), Mohammad Khaja Nazeeruddin (EPFL), Frank Nüesch (Empa), Ivan Shorubalko (Empa), Chih-Jen Shih (ETH Zürich), Vanessa Wood (ETH Zürich)
Advanced Silicon, Ams International, Avalon ST, Avantama, Dectris, Evatec, Fluxim, Meyer Burger, Norbert Schläfli, Pasan, Perovskia, Solaronix, TSE Troller