Negativemissions­technologien

Expert:innen: Samuel Eberenz (Stiftung Risiko Dialog), Johannes Tiefenthaler (Neustark)

Kohlendioxid (CO2) ist ein wesentlicher Treiber des Klimawandels. Deshalb hat die Wissenschaft Verfahren zur Abscheidung von CO2 aus der Luft und dessen anschliessender Speicherung entwickelt. Entsprechende semi-kommerzielle Anlagen sind bereits in Betrieb. Allerdings stellen sich Fragen zu deren Wirtschaftlichkeit. So oder so ist es dringlich, dass Wirtschaft und Wissenschaft Technologien vorantreiben, die das Erreichen des Netto-Null-Ziels unterstützen. Negativemissionstechnologien bieten Chancen für die Schweizer Wissenschaft und Industrie.

Bild: Neustark

Definition

Kohlendioxid (CO2) ist ein Haupttreiber des Klimawandels. Deshalb gibt es bereits heute Technologien, die CO2 aus Industrieanlagen wie auch Kraftwerken abscheiden und unter dem Begriff Carbon Capture and Storage (CCS) zusammengefasst werden. Andere Verfahren wie Direct Air Capture and Storage (DACS) versuchen, CO2 direkt aus der Luft zu filtern. Solche Technologien, die CO2 abscheiden und speichern, werden als Negativemissionstechnologien (NET) bezeichnet. Sie umfasse

n technische Ansätze wie CCS und DACS sowie biologische und hybride Ansätze. Zu ersteren gehören Wald- und Bodenmanagement sowie das Einlagern von Pflanzenkohle. Ein hybrider Ansatz nutzt das Vergären von Pflanzen in Kläranlagen. Das beim Vergären entstehende CO2 wird dabei abgeschieden und gespeichert.  

Für NET ist es entscheidend, dass das eingefangene CO2 langfristig gespeichert wird. Die Dauerhaftigkeit der Speicherung hängt jedoch von der Methode ab. In Beton mineralisiertes CO2 bleibt sehr langfristig gespeichert, während die Speicherkapazität von Böden und Pflanzen zum Beispiel im Waldmanagement von der Bewirtschaftung der Flächen abhängt und in der Regel nur wenige Jahrzehnte anhält.  

Heutige Anwendungen und Chancen

Eines der ersten Unternehmen, das NET kommerziell einsetzt, ist das im Jahr 2009 gegründete Schweizer ETH-Spin-off Climeworks. Die Firma betreibt heute in Island zwei Anlagen, die jährlich insgesamt 40’000 Tonnen CO2 aus der Luft filtern und im Boden einlagern. Climeworks ist die einzige Firma weltweit, die DACS-Systeme semi-kommerziell betreibt. 

Es gibt immer mehr Unternehmen, die CO2 direkt aus industrieller Abluft abscheiden. Das ETH-Spin-off Neustark etwa hat eine Technologie zur dauerhaften Speicherung von biogenem CO2 aus Biogasanlagen entwickelt. Dabei wird CO2 aufgefangen, verflüssigt und in Beton mineralisiert. Neustark betreibt bereits 29 Anlagen in der Schweiz, Österreich, Belgien und Italien. Vorreiter bei den CCS-Technologien ist Norwegen, das bereits 1996 in der Nordsee ein Endlager für aus der Erdgasförderung abgeschiedenes CO2 erstellt hat. 

In den letzten zwei Jahren hat sich die Gesetzgebung in der Schweiz rasch weiterentwickelt. 2025 ist das Schweizer Klima- und Innovationsgesetz (KIG) in Kraft getreten. Es legt fest, dass die Schweiz bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen muss. Treibhausgasemissionen sollen so weit als möglich reduziert und verbleibende Emissionen durch NET ausgeglichen werden. Von 2025 bis 2030 unterstützt der Bund Unternehmen mit jährlich maximal 200 Millionen Schweizer Franken für klimafreundliche Innovationen. Die Förderanträge müssen einen Fahrplan enthalten, der aufzeigt, wie die Emissionen bis spätestens 2050 auf Netto-Null gesenkt werden. 

Wegen ihres hohen CO2-Ausstosses sind Kehrichtverwertungsanlagen (KVA) zentral für die Klimastrategie der Schweiz. Gemäss einer Vereinbarung zwischen dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) und dem Verband der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen (VBSA) müssen die Schweizer KVA bis 2030 mindestens eine Anlage zur CO2-Abscheidung in Betrieb nehmen. Die erste Anlage soll in der KVA Linth in Niederurnen im Kanton Glarus gebaut werden, weitere sind in Hinwil, Zürich und Basel geplant. 

Die Entwicklung von NET wird vor allem von der Industrie, der Forschung und Behörden angetrieben. Auf Verbandsebene sind insbesondere der VBSA und CemSuisse, der Verband der Schweizerischen Cementindustrie, sehr aktiv.  

Verschiedene Initiativen versuchen, NET zu fördern, darunter der Carbon Removal Booster der Förderagentur Innosuisse. Deutschland hat das Forschungsprogramm CDRterra (landbasierte CO2-Entnahmemethoden) und die Forschungsmission CDRmare («Marine Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung») lanciert. 

Zudem verfolgen immer mehr Unternehmen ambitionierte Klimaziele und beteiligen sich an einem freiwilligen Markt für Negativemissionszertifikate, dem Voluntary Carbon Market (VCM). Allein der Tech-Gigant Microsoft deckt 60 bis 70 Prozent des NET-Marktes ab, da das Unternehmen bis 2030 das Netto-Null-Ziel erreichen will. 

Herausforderungen 

Bei den NET gibt es verschiedene Herausforderungen: 

  • Die heute für die CO2-Abscheidung verwendeten Katalysatoren benötigen Metalle der sogenannten Seltenen Erden. Es ist fraglich, ob diese Rohstoffe in ausreichender Menge verfügbar sind, um weltweit grossflächig eingesetzt zu werden. Dies zwingt die Wissenschaft, neue Materialien für die Abscheidung von CO2 aus der Luft zu suchen und entwickeln. 

  • DACS-Anlagen, die CO2 aus der Luft filtern, sind derzeit zu teuer. Anlagen, die CO2 an der Quelle abscheiden, etwa bei der Zementproduktion oder in Abfallverbrennungsanlagen, schneiden wirtschaftlich besser ab, weil die Konzentrationen von CO2 im Abgas höher sind als in der Atmosphäre. 

  • Der Technologiereifegrad (Technology Readiness Level, TRL) der Verfahren ist sehr unterschiedlich, die Unsicherheit wegen tiefer CO2-Preise und mangelnder Regulierung gross. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen sind die Anwendungen nicht wirtschaftlich. 

  • Einige Lösungsmittel, die in Carbon-Capture-Prozessen verwendet werden, können giftige Emissionen ausstossen, insbesondere bei aminbasierten Verfahren. Flüchtige Amine stellen Gesundheitsrisiken dar. 

  • Die dauerhafte Speicherung von CO2 ist eine grosse Herausforderung. Es gibt weltweit nur wenige geeignete Speicherorte, darunter Island und die Nordsee. 

  • CO2-intensive Produktionszweige könnten ins Ausland verlagert werden. Um den Import von unreguliertem Zement, beispielsweise aus der Türkei, zu verhindern, führt die EU bis 2026 schrittweise den Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) ein, der faire Preise beim Handel von kohlenstoffintensiven Gütern sicherstellen soll. Die Zementindustrie in der Schweiz lobbyiert für ähnliche Zollgebühren. 

Fokus Industrie

Die Schweizer Industrie ist sich bewusst, dass sie in NET investieren muss. Dies bringt auch wirtschaftliche Vorteile, beispielsweise durch die Vermarktung von Produkten, die mit einem geringeren CO2-Fussabdruck hergestellt wurden, was sich auch positiv auf die Reputation der Unternehmen auswirkt. 

Mitarbeitende benötigen je nach Anwendung spezifische technische Fähigkeiten in Bereichen der Holzindustrie bis hin zur CO2-Abscheidung aus der Luft. Systemisches Denken ist wichtig, weil Carbon Removal im Gesamtsystem funktionieren muss. Fachkräfte wie Monteur:innen, Elektriker:innen und Baustellenleiter:innen sind schwer zu finden. Dafür braucht es mehr Personen mit einer Ausbildung in den Fachbereichen Lebenszyklusanalyse, CO2-Monitoring und Verifikation. 

Internationale Perspektive

Führend im Bereich von Carbon-Capture-Technologien sind die USA, Kanada und Australien. In Europa spielt Norwegen mit der Versenkung von überschüssigem CO2 aus der Gasförderung in der Nordsee eine Vorreiterrolle. Im Mai 2024 unterzeichneten die Schweiz und Norwegen eine Absichtserklärung zur Vertiefung ihrer Kooperation im Bereich CCS und Carbon Dioxide Removal (CDR). Ziel ist es, die grenzüberschreitende Entwicklung von CO2-Transport- und Speicherinfrastrukturen zu fördern. 

Auch die Europäische Union (EU) möchte NET bis 2050 mehr fördern. Ende 2024 hat die EU die Verordnung über die Zertifizierung von CO2-Entnahmen und kohlenstoffspeichernder Landwirtschaft verabschiedet, die auch als Carbon Removals and Carbon Farming Certification (CRCF) bekannt ist.  

Schweizer Institutionen sind in verschiedenen europäischen Forschungsprogrammen und sektorübergreifenden Plattformen eingebunden. So sind das Bundesamt für Energie und der Schweizerische Nationalfonds (SNF) an der Clean Energy Transition Platform (CETP) beteiligt, die transnationale Projekte im Bereich CCUS (CO2 Capture, Utilisation and Storage) fördert. Diese Beteiligungen ermöglichen der Schweiz den Zugang zu europäischem Fachwissen und fördern die Entwicklung gemeinsamer Lösungen im Bereich CCS. 

Eine grosse Diskussion gibt es um die Pflanzenkohle, deren Anhänger:innen der Meinung sind, dass die Schweiz bei der Anerkennung und Zulassung von Pflanzenkohle als Kohlenstoffspeicher zu zögerlich ist. In anderen Ländern wird die Kohlenstoffspeicherung durch Pflanzenkohle stärker gefördert. 

Zukünftige Anwendungen 

Bis 2030 werden in Europa fünf bis zehn Grossprojekte für DACS in Betrieb sein. Die Entwicklung von 2030 bis 2035 wird stark von der Politik und Anreizen abhängen. In der Schweiz ist ein Dutzend Projekte in der Zementindustrie geplant, was zu einer Speicherung von jährlich zehn Millionen Tonnen CO2 führen kann und knapp 20 Prozent der jährlichen Emissionen entspricht. Interessierte Firmen, beispielsweise in der Pharmalogistik, haben die Befürchtung, dass das Angebot der Kohlenstoffspeicherung ungenügend sein wird. Sie bauen deshalb Inhouse-Carbon-Removal-Abteilungen auf. 

​Für die Schweiz sind NET ein essenzieller Bestandteil der Klimastrategie, um das Netto-Null-Ziel 2050 zu erreichen. Diese Technologien sollen insbesondere schwer vermeidbare Emissionen aus Sektoren wie der Landwirtschaft, der Zementproduktion und der Abfallverwertung ausgleichen. Der Erfolg hängt jedoch von technologischen Fortschritten, wirtschaftlicher Tragfähigkeit und gesellschaftlicher Akzeptanz ab.​

Weiterführende Informationen

K Sievert, T Schmidt, B Steffen. (2024) Considering technology characteristics to project future costs of direct air capture.  

SG Keel, D Bretscher, J Leifeld, A von Ow, C Wüst-Galley. (2023) Soil carbon sequestration potential bounded by population growth, land availability, food production, and climate change.  

Agroscope. Pflanzenkohle.  

Bundesamt für Umwelt BAFU. CO2-Entnahme und -Speicherung

Bundesamt für Umwelt BAFU. Externe Studien und Forschungsberichte im Auftrag des BAFU.  

Innosuisse. Carbon Removal Booster.  

Keywords

Carbon Dioxide Removal (CDR), Carbon Capture and Storage (CCS), CO2 Removal, Direct Air Capture and Storage (DACS) Negative Emission Technologies (NET), CO2 Sequestration, Biochar 

Akademische Akteur:innen

Kumar Varoon Agrawal (EPFL), André Bardow (ETH Zürich), Jens Leifeld (Agroscope), Maria Lukatskaya (ETH Zürich), Marco Mazzotti (ETH Zürich), Christoph Müller (ETH Zürich), Wendy Lee Queen (EPFL), Eleni Stavropoulou (EPFL) 

Firmen

Climeworks, Divea, Neustark, Synhelion