mRNA

Expert:innen: Torsten Schmidt (Lonza), Klaas Zuideveld (Versameb)

Proteine, auch Eiweisse genannt, fungieren im Körper als molekulare Werkzeuge und übernehmen vielfältige Aufgaben wie die Muskelbildung, die Zellbewegung und katalytische Reaktionen. Genetische Mutationen oder Fehlregulationen können dazu führen, dass Proteine ihre Funktion nicht mehr korrekt ausführen, was die Ursache zahlreicher Krankheiten ist. Die gezielte Behandlung solcher Defekte bleibt eine der grossen Herausforderungen der modernen Medizin. Zugleich steigen die Anforderungen an die Produktionsprozesse für Therapeutika in Bezug auf Geschwindigkeit und Flexibilität. Eine vielversprechende Lösung bietet die mRNA-Technologie, die im Rahmen der Covid-19-Impfungen Aufsehen erregt hat. In Zukunft könnte sie das therapeutische Spektrum massgeblich verändern.

Bild: iStock

Definition

Die Trägerin der Erbinformation, Desoxyribonukleinsäure (DNA), befindet sich geschützt im Zellkern. Sie fungiert als Enzyklopädie mit Bauanleitungen für alles, was der Körper braucht. Die Umsetzung in Proteine erfolgt jedoch im Zellplasma, das die DNA nicht erreichen kann. Daher werden die Bauanleitungen in eine transportierbare Kopie namens Messenger RNA (kurz mRNA) umgeschrieben, die ins Zellplasma gelangen kann und dort in Proteine umgesetzt wird. 

Die Technologie nutzt synthetische mRNA, um therapeutische Proteine in menschlichen Zellen gezielt herzustellen. Dabei kann mRNA sowohl fehlerhafte Proteine ersetzen als auch neue Proteine erzeugen, wenn sie im menschlichen Körper nicht auf natürliche Weise vorhanden sind. Durch chemische Modifikationen und eine spezielle Verpackung in Lipidnanopartikeln wird die Stabilität der kurzlebigen mRNA verbessert und die Effizienz der Therapie erhöht. 

Heutige Anwendungen und Chancen 

mRNA-Therapien beruhen auf der Möglichkeit, die Expression von körpereigenen oder fremden (exogenen) Proteinen mit Hilfe der mRNA zu fördern. Bei Impfstoffen etwa werden Baupläne für Viren in die menschlichen Zellen transportiert und zur Expression gebracht, um eine Immunantwort auszulösen. Ein bekanntes Beispiel sind die Covid-19-Impfstoffe, die in kürzester Zeit entwickelt und millionenfach eingesetzt wurden. Weitere vielversprechende Einsatzgebiete sind Impfstoffe gegen Grippeviren und gegen RSV (RSV steht für Respiratorisches Synzytial-Virus), die sich zurzeit in der Zulassung befinden. Auch in der Krebstherapie werden Fortschritte erzielt: Erste mRNA-basierte Impfstoffe befinden sich in klinischen Studien. 

Die mRNA-Technologie bietet für Wirtschaft und Gesellschaft grosse Chancen, da sie die flexible Produktion von Therapeutika ermöglicht. Arzneimittel können so nicht nur günstiger hergestellt werden, was das Gesundheitswesen entlastet, sondern es ist auch eine schnelle Anpassung an aufkommende Keime wie Grippe- oder andere Viren möglich. Die Technologie dürfte auch bei seltenen Krankheiten und personalisierten Therapien eine bedeutende Rolle spielen: mRNA erreicht dank ihrer geringen Grösse nahezu jedes genetische Ziel innerhalb einer Zelle und die synthetische mRNA kann fehlerhafte Proteine ersetzen, wenn sie gezielt mit gesunden Genen ausgerüstet wird. Trotz erster kommerzieller Erfolge bleibt der Forschungsbedarf hoch und Firmengründungen stellen in der Schweiz eine attraktive Option für Wissenschaftler:innen dar. 

Herausforderungen

Trotz der vielversprechenden Ergebnisse stehen mRNA-Therapeutika noch vor Herausforderungen. Die grösste technische Hürde ist die zielgerichtete Anwendung in einem spezifischen Gewebe. Intravenös verabreichte mRNA erreicht hauptsächlich die Leber. Die Zielsteuerung in andere Gewebe bleibt komplex, ist aber eine Notwendigkeit und erfordert weitere Grundlagenforschung. Auch die Weiterentwicklung der Lipidnanopartikel, die als Verpackung der mRNA dienen, sowie Optimierungen bei der Dosierung sind essenziell, um die Verträglichkeit und somit die Akzeptanz der Impfstoffe zu verbessern. Teile der Gesellschaft stehen der Technologie wegen der in kürzester Zeit entwickelten Covid-19-mRNA-Impfstoffe kritisch gegenüber. 

Darüber hinaus bestehen regulatorische Herausforderungen, insbesondere bei personalisierten Anwendungen, für welche die Anforderungen der Behörden deutlich über den Standard für biologische Therapeutika hinausgehen. 

Fokus Industrie

Die mRNA-Technologie ist eine alternative biotechnologische Produktionsmethode. Im Vergleich zu Wirkstoffen auf Proteinbasis ist die Herstellung von mRNA deutlich schneller und flexibler und die Ausbeute höher. Die Produktion von kleinen Chargen dauert nur zwei bis drei Wochen, für Mengen im Labormassstab sogar nur wenige Stunden. Unternehmen, die bereits über biotechnologische Pharma-Produktionsanlagen und über Fachkräfte mit dem erforderlichen Know-how verfügen, können relativ problemlos auf die mRNA-Produktion umsteigen. Entscheidend für diesen Schritt ist jedoch geeignetes Prozesswissen und eine Prozessplattform. 

Die zahlreichen Zutaten für mRNA-Therapeutika werden von vielen verschiedenen Herstellern geliefert. Deshalb ist Wissen in Supply-Chain-Management unerlässlich. Mitarbeitende benötigen darüber hinaus einen Hintergrund in Biotechnologie und Molekularbiologie sowie Expertise in Arzneimittelentwicklung, Prozess-Ingenieurwesen und Qualitätsmanagement. Die Schweiz verfügt zwar über eine solide Basis an gut ausgebildeten Fachkräften, kann den Bedarf aber weder im Normalbetrieb noch in Krisenzeiten decken, was zu einer Rekrutierung aus dem Ausland führt. 

Internationale Perspektive

Die Forschung und Entwicklung von therapeutischen mRNA-Technologien in der Schweiz hat sowohl Fortschritte gemacht als auch Herausforderungen erfahren. Vor der Covid-19-Pandemie wurde in der Schweiz wenig in Forschung und Entwicklung der mRNA-Technologie investiert, sodass sie gemäss Aussagen von namhaften Forschenden im internationalen Vergleich im Rückstand war. Dann kam die Wende: Zwischen 2021 und 2024 finanzierte der Schweizerische Nationalfonds das Nationale Forschungsprogramm «Covid-19» (NFP 78). Zudem baute Lonza 2020 in Kooperation mit Moderna in Visp Produktionsanlagen für mRNA-Impfstoffe auf und Novartis eröffnete 2023 in Schweizerhalle eine Produktionsstätte für mRNA-Therapeutika. Die Forschungslandschaft ist jedoch fragmentiert und es fehlen grösstenteils Kooperationen zwischen der akademischen Forschung und der Industrie. 

Bei der Kommerzialisierung hinkt die Schweiz anderen Nationen hinterher, zum Beispiel den USA und Deutschland. Aktuell haben mRNA-Therapeutika für die Schweiz keine wesentliche wirtschaftliche Bedeutung. 

Zukünftige Anwendungen 

Mehrere medizinische Bereiche dürften vom Einsatz therapeutischer mRNA profitierten. Neben Covid-19-Impfstoffen könnten mRNA-basierte Vakzine auch für andere übertragbare Virusinfektionen entwickelt werden. 

In der Krebsbehandlung könnte mRNA zukünftig virale Vektoren ersetzen, über die genetische Informationen in den Körper transportiert werden. Dies würde das Gefährdungspotenzial der Viren in solchen Anwendungen eliminieren. Die Forschung an mRNA-Impfstoffen gegen Krebs zielt darauf ab, Tumorproteine im Körper zur Expression zu bringen und dadurch das Immunsystem zu befähigen, die entsprechenden Krebszellen gezielt zu erkennen und zerstören. Dies würde personalisierte Therapieansätze ermöglichen. Darüber hinaus könnte mRNA in der Behandlung von genetischen Krankheiten und in der regenerativen Medizin eingesetzt werden, indem sie defekte Gene ersetzt. Denkbar sind auch Ansätze, in denen synthetische Antikörper auf mRNA-Basis direkt in den Zellen exprimiert werden. 

Die mRNA-Technologie ist eine der vielversprechendsten Innovationen in der modernen Medizin. Sie bietet sowohl für das Gesundheitswesen als auch für die Wirtschaft erhebliche Chancen. Dank ihrer Flexibilität und Effizienz könnte sie die Behandlung von Krankheiten wie Krebs revolutionieren und personalisieren. Die Schweiz als bedeutender Standort der pharmazeutischen Industrie ist prädestiniert, in Forschung und Entwicklung eine bedeutende Rolle zu spielen. Dazu bedarf es einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie, einer gezielten und erweiterten Ausbildung von Fachkräften und nicht zuletzt eines gezielten Ausbaus von Produktionskapazitäten.

Weiterführende Informationen

HQ Duong, MC Hoang, TH Nguyen, VL Ngo, VT Le. (2024) RNA therapeutics history and future perspectives

H Sun, Y Zhang, G Wang, W Yang, Y Xu. (2023) mRNA-based therapeutics in cancer treatment.  

YK Kim. (2022) RNA therapy: rich history, various applications and unlimited future prospects.  

S Amanpour. (2021) The rapid development and early success of Covid 19 vaccines have raised hopes for accelerating the cancer treatment mechanism.  

Keywords

mRNA, Messenger RNA, mRNA Therapeutics, mRNA Vaccines 

Akademische Akteur:innen

Jeffrey A. Chao (Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research FMI), Jonathan Hall (ETH Zürich), Steve Pascolo (Universität Zürich), Gerd Pluschke (Swiss Tropical and Public Health Institute), Ramesh Pillai (Université de Genève), Dominik Theler (ETH Zürich), Volker Thiel (Universität Bern) 

Firmen

Haya Therapeutics, Lonza, Novartis, Roche, TargImmune Therapeutics, Versameb