Expert:innen: Edouard Appenzeller (SGLWT), Marc Lutz (SGLWT), Erich Windhab (ETH Zürich/SATW)
Pflanzen, Insekten und Zellkulturen sind die Proteinquellen der Zukunft. Mit Fleisch kann die weltweit schnell wachsende Nachfrage nach Proteinen nicht gestillt werden – zudem belastet die Fleischindustrie die Umwelt stark. So wird weltweit intensiv an alternativen Proteinquellen geforscht. Wenn die Schweiz in diesem Bereich weiterhin innovativ bleiben möchte, müssen ETH Zürich, Universitäten, Fachhochschulen und Industrie die grossen Fragen gemeinsam angehen.
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Viele Konsumentinnen und Konsumenten suchen nach Produkten, die aussehen und schmecken wie Fleisch oder Fisch, die aber nicht von einem Tier stammen. Alternative Proteine kommen aus vier verschiedenen Quellen: Aus eiweisshaltigen Pflanzen, aus dem Labor als In-vitro-Fleisch, aus Mikroorganismen und aus Insekten.
Die erste Gruppe umfasst eiweisshaltige Pflanzen wie Hülsenfrüchte, Kerne, Nüsse und Ölsaaten. Die daraus gewonnenen Proteine können zu Ersatzprodukten für Fleisch, Käse oder Milch verarbeitet werden. Dafür greift man auf traditionelle Verarbeitungsformen wie die Gerinnung zurück, wie sie für die Herstellung von Tofu erforderlich ist. Es werden aber auch neuere Verfahren wie Extraktion und Strukturierung von Pflanzenproteinen angewandt. Eine Herausforderung bleibt es, die faserige Struktur von Fleisch nachzubilden. Durch Innovationen in der Verfahrenstechnik – wie z. B. den 3D-Druck – soll sich künftig die Faserstruktur von Muskelfleisch besser imitieren lassen.
Zweitens gibt es den Bereich des im Labor gezüchteten In-vitro-Fleischs. Dazu wird einem Tier, bspw. einem Rind, unter Betäubung Stammzellen entnommen. Mit diesen Stammzellen werden dann im Labor unter sterilen Bedingungen in einer Nährlösung ausdifferenzierte Zellen gezüchtet. Während sich die Herstellungskosten beim ersten so hergestellten Burger im Jahr 2013 noch auf 250'000 Schweizer Franken beliefen, kostet ein so hergestellter Burger heute noch rund 10 Schweizer Franken, was immer noch deutlich über einem markttauglichen Preis liegt. Ob ein solcher je erreicht werden kann, ist umstritten. An den reduzierten Kosten zeigt sich aber, wie sehr sich diese Methoden bereits weiterentwickelt haben. Sie funktionieren bis dato im Labormassstab. Die Skalierung von solchem In-vitro-Fleisch erfordert aber noch viel praxisorientierte Forschung, denn die Produkte sind heute noch viel zu teuer, um am Massenmarkt zu bestehen und funktionieren entsprechend lediglich im Premiumsegment.
Die dritte Gruppe alternativer Proteinquellen sind Proteine, die entweder aus Mikroorganismen wie Pilzen (z. B. Hefen oder Mikroalgen) gewonnen oder durch Mikroorganismen hergestellt werden. Das seit 40 Jahren auf dem Markt erhältliche Quorn ist ein aus dem Myzel eines Schlauchpilzes gewonnenes Protein. Dennoch handelt es sich bei solchen Proteinen um eine Marktnische. Derzeit werden sie weniger für die Ernährung des Menschen, sondern vor allem für Tierfutter verwendet. In Zukunft könnten diese alternativen Proteine Futtermittel wie Sojaschrot und Fischmehl ersetzen.
Die vierte Gruppe umfasst Proteine, die aus Insekten gewonnen werden. Auch diese werden in Industrieländern vor allem zu Tierfutter verarbeitet; als Nahrungsmittel für den Menschen konnten sie sich bislang nicht durchsetzen. Insekten zur Ernährung von Menschen werden im Moment nicht von einer breiten Öffentlichkeit akzeptiert, die aktuellen regulatorischen Vorschriften verhindern eine nachhaltige Produktion, da aktuell hochwertige Rohstoffe verfüttert werden müssen, die auch direkt durch die Menschen konsumiert werden können.
Proteine sind nicht nur unabdingbarer Bestandteil der menschlichen und tierischen Ernährung, sie haben auch Eigenschaften, die sich Methoden der Lebensmittelverarbeitung zunutze machen, ob zu Hause oder in der Industrie. So können Proteine aufgeschäumt werden und verfügen als Emulgator über die Fähigkeit, Fett und Wasser zu verbinden.
Eine grosse Hürde für die Etablierung neuer und innovativer Nahrungsmittel sind die Zulassungsbestimmungen. Neuartige Lebensmittel, sog. Novel-Food-Produkte, müssen bei den zuständigen Behörden mit einem umfangreichen Dossier zur Zulassung beantragt werden. Das Verfahren ist teuer und zeitaufwendig und für Antragstellende mit Risiken behaftet. Es ist deshalb zu befürchten, dass viele Produkte erst in anderen Märkten etabliert werden und dass diese erst mit Verspätung in der Schweiz und der EU zugelassen werden. Soll die Schweiz eine Rolle als innovativer Forschungsstandort wahrnehmen, so müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Analog zur Insektenzucht wird es voraussichtlich darauf hinauslaufen, dass die Rohstoffe zur Herstellung von kultiviertem Fleisch hohe Reinheitsanforderungen erfüllen müssen und so eine Kultivierung teuer und energieintensiv sein wird.
Die aktuell verfügbaren Bioreaktoren zum Züchten von In-vitro-Fleisch müssen verbessert werden. Einerseits muss die Anzahl Zellen je Flächeneinheit, d. h. die Zelldichte, erhöht werden. Da ein Stück Fleisch aus mehreren Zelltypen besteht und einem chronologischen und hierarchischen Aufbau folgt, müssen Verfahren entwickelt werden, die es erlauben, unterschiedliche Zelltypen wachsen zu lassen oder miteinander zu verbinden. Ansätze dazu, etwa mit Gittern (engl. scaffolds) werden zurzeit erforscht. Die Herstellung von In-vitro-Fleisch hat viel vom medizinischen Tissue Engineering, d. h. der gezielten Herstellung von Geweben, profitiert. Umgekehrt könnten Fortschritte bei der lebensmitteltechnischen Züchtung von Fleischzellen auch eine Bereicherung für die Medizin darstellen. Beide Bereiche, die Lebensmittelindustrie und die Medizin, könnten also voneinander profitieren. Die Schweiz war lange führend in der Herstellung von Bioreaktoren. Ein grosser Teil dieser Geräte wird heute aber in China und Korea hergestellt. Die Schweiz könnte ihre frühere Position in der Entwicklung und Produktion solcher Geräte wieder einnehmen, wenn es ihr gelingt, einen interdisziplinären Dialog zwischen Biolog:innen, Lebensmittelwissenschafter:innen, Medizintechniker:innen und Prozessingenieur:innen zu etablieren.
Die Entwicklung alternativer Proteinquellen kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist eingebettet in die Nahrungsmittelversorgung. Diese kann nur dann ökologischer und in einem weiteren Sinne nachhaltiger gestaltet werden, wenn die verschiedenen Akteur:innen, die Hochschulen, die Fachhochschulen sowie die Industrie gemeinsam die grossen Fragen angehen. Dabei kann es sinnvoll sein, wenn sich die beteiligten Parteien auf ihre jeweiligen Rollen fokussieren: Die ETH Zürich konzentriert sich auf das Systemwissen und die Fachhochschulen generieren Problemwissen und arbeiten an entsprechenden Lösungen, die dann von der Industrie aufgegriffen werden. Dies erfordert aber eine gemeinsame Kultur und gegenseitiges Vertrauen. Beides ist heute nur in Ansätzen vorhanden.
Eine weitere Bremse in der Forschung und Entwicklung alternativer Proteinquellen sind die Regulatorien. Derzeit muss ein Unternehmen eine Zulassung haben, um seine Produkte einem Markttest zu unterziehen. Verfahren wie Degustationen und Panels sind nur möglich für Nahrungsmittel, für die eine Zulassung erteilt worden ist. Eine Zulassung für begrenzte Degustationen könnte Abhilfe schaffen. Denn Unternehmen investieren nicht in neue Produkte, bei denen sie nicht wissen, ob sie am Markt bestehen werden.