Das Sicherstellen einer künstlichen Beatmung nach einem Unfall oder bei einer Narkose ist insbesondere für ungeübtes Gesundheitspersonal nicht ganz einfach. Es erfordert neben Wissen viel handwerkliches Geschick, das nur mit Erfahrung und entsprechendem Training erlangt werden kann. Das Zürcher Start-up aiEndoscopic entwickelt eine auf künstlicher Intelligenz basierende Assistenzsoftware, die medizinische Fachpersonen dabei unterstützt, Schläuche zur künstlichen Beatmung zu legen.
Bild: aiEndoscopic
Künstliche Beatmungen ist vor allem für medizinisches Personal mit wenig Übung eine grosse Herausforderung. Studien zeigen, dass es im Mittel 200 Intubationen braucht, bis die Lernkurve abflacht. Fällt die Atmung für länger als ein paar Minuten aus, beispielsweise nach einem Unfall oder bei einer Vollnarkose, können bleibende Schäden entstehen. Diese führen zu hohen Folgekosten. Hier setzt das Start-up aiEndoscopic an.
aiEndoscopic entwickelt eine Assistenzsoftware für Intubationsgeräte. Philippe Ganz, CEO und Mitgründer von aiEndoscopic, vergleicht das Legen einer Intubation mit dem Parken von Autos: Während alte Fahrzeuge ohne Assistenzsysteme von der Fahrperson eingeparkt werden mussten, kamen später Rückfahrkameras hinzu. Seit ein paar Jahren gibt es auch Einparkassistenzen, die in der Lage sind, automatisch einzuparken. Ähnlich verhält es sich mit den Laryngoskopen, das sind jene Geräte, die genutzt werden, um die Schläuche für künstliche Beatmung zu legen. Während diese Geräte früher gänzlich manuell gehandhabt wurden, kamen in den letzten Jahren Geräte auf den Markt, die mit einer Kamera ausgestattet eine Sicht in den Rachen ermöglichen.
aiEndoscopic geht noch einen Schritt weiter. Das Zürcher Start-up entwickelt gleichsam eine Art Parkassistenz für das Platzieren von Schläuchen zur künstlichen Beatmung. Die Software, die aiEndoscopic entwickelt, nutzt sogenannte Computer-Vision-Verfahren. Computer Vision ist jenes Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, das genutzt wird, um Computern das sinnhafte Sehen beizubringen, also Zusammenhänge in Bilddaten zu erschliessen. Als Input dienen Videoinformationen, die von der Kamera des Laryngoskops aufgenommen werden. Die Software von aiEndoscopic prozessiert diese Bildinformationen in Echtzeit auf einem kleinen Rechner im Gerät selbst. Und sie zeigt der intubierenden Person auf dem Bildschirm zusätzlich zu den Videoinformationen, ob das Laryngoskop optimal platziert ist und ob der Schlauch in die richtige, das heisst, in die Luft- und nicht Speiseröhre gelegt wurde.
Die Geschichte von aiEndoscopic begann im Hochschulquartier Zürichs als Spin-off von ETH Zürich, Universität Zürich und Universitätsspital Zürich (USZ). Die ursprüngliche Idee kam vom USZ und bestand darin, Intubationen vollständig zu automatisieren. Beim Entwickeln eines solchen Intubationsroboters habe man dann gemerkt, so Philippe Ganz, dass solche Geräte nur schwerlich zu zertifizieren sind, da die Zulassung von Medizingeräten desto schwieriger ist, je mehr Funktionen sie umfassen.
Einerseits muss für jede Teilfunktion bewiesen werden, dass sie ihre Aufgabe erfüllt und dass diese bei korrekter Anwendung sicher ist. Der Nachweis der Sicherheit von maschinell lernenden Systemen ist ähnlich herausfordernd wie deren Entwicklung. So muss nachgewiesen werden, anhand welcher Daten die künstliche Intelligenz trainiert wurde und dass das Datenset repräsentativ ist. Assistenzsysteme sind in einer tieferen Risikoklasse als Intubationsroboter, weswegen es sinnvoll ist, einen Schritt nach dem anderen zu nehmen und in der Entwicklung iterativ vorzugehen. Aus diesem Grund wurde zunächst ein Assistenzsystem gebaut, das analog zu automatisierten Fahrzeugen der intubierenden Person erstmals nur Hinweise gibt, wie sie das Laryngoskop einzuführen hat.
Damit das Gerät die korrekten Anweisungen gibt, muss das neuronale Netzwerk trainiert werden. aiEndoscopic tut dies, indem Videoaufnahmen mit entsprechenden Labels versehen werden. Erfahrene Fachpersonen schauen sich Videos von Intubationen an und erfassen, was dabei wie gelaufen ist. Dadurch lernt die Software die verschiedenen Zusammenhänge von Bild und Handlungsanweisung. Um diese Daten zu erheben und die Nützlichkeit des Gerätes nachzuweisen, braucht es klinische Studien. Solche Studien werden meist in Zusammenarbeit mit Spitälern durchgeführt. Im Atemwegsmanagement gibt es nur wenig Innovation und deshalb viele ähnliche Studien, deshalb besteht ein grosses Interesse an Clinical Trials mit einem neuen Gerät.
Die Medizinaltechnik unterliegt strikten Regulatorien. Besonders bedeutsam sind die Regularien aus der EU und den USA. Wobei die USA für aiEndoscopic der interessantere Markt darstellen. Einerseits weil die Regulatorien klarer gefasst sind und eine Zulassung schneller erhältlich ist als in der EU. Während in den USA eine einzige Zertifizierung ausreicht, formulierten die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU oftmals Zusatzanforderungen, die sich je nach Land unterscheiden und die zusätzlich zu den gesamteuropäischen eingehalten werden müssen. Das macht Bewilligungsverfahren im europäischen Raum für KMU enorm langwierig und schwierig. Andererseits ist der Markt für Atemmanagementsysteme in den USA wesentlich grösser als der europäische Markt. Auch das macht es für Hersteller attraktiver, zuerst den amerikanischen Markt zu bedienen.
Die USA kennen ein vereinfachtes Verfahren für jene Produkte, die eine Erweiterung oder Neuerung eines schon zertifizierten älteren Produktes darstellen. Bei der Software von aiEndoscopic handelt es sich um eine solche Neuerung, die von einem vereinfachten Verfahren profitieren könnte. Damit müsste nicht mehr das ganze Gerät validiert und zertifiziert werden, sondern lediglich die neue Funktion. Und so lange sich diese darauf beschränkt, die intubierende Fachperson zu unterstützen, scheint eine solche Bewilligung möglich.