Eine seltene Geschichte von seltenen Erden

Expert:innen: Marie Perrin (ETH Zürich / REEcover)

Während ihres Doktorats an der ETH Zürich hat Marie Perrin ein Verfahren entwickelt, mit dem Europium, ein Metall der seltenen Erden, trennscharf isoliert werden kann. Dies ist eine Sensation, weil die Rückgewinnung dieser Metalle fundamental für das Recycling von Elektronikabfällen ist. Die preisgekrönte Forscherin ist dabei, ein Spin-off zu gründen.

Bild: Kilian Kessler (ETH Zürich)

Was haben Elektromotoren, Permanentmagnete, Smartphones, Energiesparlampen und Displays gemeinsam? Sie alle haben Bestandteile, die aus Metallen der seltenen Erden gefertigt werden. Das ist eine Gruppe von 17 chemischen Elementen.  

Die Seltenen Erdelemente (SEE) haben Eigenschaften, die für die Digitalisierung und die Elektrifizierung unverzichtbar sind: Einige haben besondere magnetische Eigenschaften, andere werden gebraucht, um Halbleiter zu bauen. Wieder andere können zum Leuchten gebracht werden.  

Die SEE gelten als «kritisch». Allerdings nicht, weil sie – wie der Name fälschlicherweise suggeriert – besonders selten wären, sondern weil die Herstellung vieler Produkte von diesen abhängig ist, die Lieferketten den globalen Unabwägbarkeiten ausgesetzt sind und ihr Abbau technologisch schwierig und aus Umweltsicht problematisch ist. 

Die weltweite Nachfrage nach den SEE ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen, während das Angebot stark limitiert bleibt. Weltweit kommen etwa 70 Prozent der SEE aus chinesischen Minen. Und weil China es geschafft hat, sich ein Quasimonopol aufzubauen, werden über 90 Prozent der SEE in China raffiniert. 

Die Europäische Union verabschiedete im März 2024 die Verordnung zu kritischen Rohstoffen mit dem Ziel, diese Abhängigkeit zu reduzieren und den Eigenversorgungsgrad zu erhöhen. Erreicht werden soll dies unter anderem dadurch, dass bis 2030 ein Viertel der in der EU verarbeiteten SEE aus dem Recycling stammen. Leichter in einen Gesetzestext geschrieben als getan. Weniger als ein Prozent der verarbeiteten SEE stammt aus dem Recycling, weil dieses sehr aufwendig und kaum trennscharf zu machen ist. Bislang. 

Eine vielversprechende Doktorarbeit

Marie Perrin studierte an der École polytechnique in Paris und war für einen Forschungsaufenthalt am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA). 2019 kam sie nach Zürich, um in der Forschungsgruppe von ETH-Professor Victor Mougel die SEE und ihre Chemie zu erforschen.  

Victor Mougel und Marie Perrin entdeckten, dass bestimmte Moleküle SEE mit hoher Affinität binden und damit selektiv trennen können. Sie wendeten diese Eigenschaft auf Europium an und stellten fest, dass sich dieses aus Leuchtstoffröhren, in denen Europium genutzt wird, zurückgewinnen lässt.  

Dazu werden die Leuchtstoffröhren zu einem Pulver gemahlen. Im Anschluss wird dieses Leuchtstoffröhrenpulver mit einer Säure behandelt; dadurch lösen sich die metallischen Bestandteile und das Glas kann abgefiltert werden. Wird die Säure getrocknet, ist der Rückstand ein Pulver, das Europium und Yttrium enthält. Wird dann das Extraktionsmittel zugegeben, reagiert das Europium und fällt aus. Der Gewinn ist doppelt: Reine Europiumsalze auf der einen und das Extraktionsmittel auf der anderen Seite. Das Vorgehen von Marie Perrin ist 10- bis 100-mal treffsicherer als andere Methoden zum Trennen von Europium. Da bisherige Verfahren oft wiederholt werden müssen, um entsprechende Reinheit zu erlangen, kann zudem die Menge an hochgiftigen Säuren und Abfällen reduziert werden. 

Die Entdeckung von Marie Perrin hat bereits für einen kleinen Sturm der Begeisterung gesorgt. So hat sie seit der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse und der Patentanmeldung zahlreiche Preise gewonnen. Die Goldmedaille des European Young Chemists‘ Award und den Preis des Europäischen Patentamtes, den World Builder Award. Sie und ihr Betreuer haben den ETH Spark Award erhalten. Dieser Preis honoriert die vielversprechendsten Patentanmeldungen. Zudem haben ihre Forschungsergebnisse einiges an massenmedialer Aufmerksamkeit generiert.  

Die der Entdeckung Marie Perrins zuteilgewordene Aufmerksamkeit ist nur verständlich, wenn man diese vor dem eingangs geschilderten Hintergrund betrachtet. Da ist der Bedarf an Europium und die Schwierigkeit, dieses abzubauen; da sind Fragen rund um Wirtschaftlichkeit und Ökologie des Abbaus sowie die geopolitische Abhängigkeit von China. Dazu kommt noch der politische Wille der EU, dies zu ändern. Erst dieses Amalgam machen die Forschungsergebnisse brisant.  

Von der Forschung in die Industrie

Mit der Anmeldung zum Patent stellten sich plötzlich neue Fragen, erzählt Marie Perrin beim Kaffee im Bistro: «Um zu vermeiden, dass diese Technologie in der Frühphase lizenziert wird, ohne dass sie weiterentwickelt wird, haben wir uns entschieden, den Weg der Ausgründung zu gehen. Unser Know-how möchten wir gleichzeitig für die Skalierung nutzen. Wir sind sehr dankbar für Programme wie das ETH Pioneer Fellowship, das von der ETH Foundation unterstützt wird und uns den Sprung von der Wissenschaft zum Unternehmertum ermöglicht. Kürzlich haben wir auch Unterstützung von der Peter Bopp Stiftung erhalten, dank der wir die Technologie weiterentwickeln können, ohne uns auf externe Investor:innen verlassen zu müssen». 

Die patentgeschützte Methode zum Isolieren von Europium funktioniert im Labormassstab mit sehr hoher Genauigkeit. Deshalb gehen die gegenwärtigen Bestrebungen dahin, das Verfahren für industrielle Massstäbe zu skalieren. Andererseits ist das Spin-off mit Namen REEcover auf Industriepartner angewiesen, um die Methode zu einem ausgewachsenen Prozess mit Zulieferer und Abnehmern weiterzuentwickeln. Die Suche nach Partnerunternehmen bringt eigene Schwierigkeiten mit sich.  

Marie Perrin ist nicht nur Forscherin, sie amtet auch als Pressesprecherin in eigener Sache. Sie erklärt anschaulich und weckt Enthusiasmus, wenn sie darlegt, wie die Prozesse, die sie nutzt, funktionieren. Alles klingt machbar und nachvollziehbar, auch wenn sie auf die Herausforderungen bei der Ausgründung zu sprechen kommt.  

Es ist zu hoffen, dass das Verfahren skaliert. Einerseits, weil es einen enorm wichtigen Beitrag für das Etablieren der Kreislaufwirtschaft leistet. Andererseits – und vielleicht noch wichtiger – weil jede Entdeckung, die zu einer Innovation führt, eine Geschichte erzählt. Eine Geschichte von Menschen, die ihrer Neugierde gefolgt sind, ihrer Kreativität freien Lauf gelassen haben und im Zusammenspiel mit anderen etwas entwickelt haben, das ein drängendes Problem löst. Der Innovationsplatz Schweiz braucht Geschichten wie diese. Weil solche Geschichten inspirieren, weil sie den Wert von Spitzenforschung aufzeigen.