Expert:innen: Martin Saar (ETH Zürich), Stefan Wiemer (ETH Zürich)
Tiefengeothermie, mit der die Erdwärme in über 400 Metern Tiefe genutzt werden soll, ist eine zuverlässige, lokale, CO2-freie und erneuerbare Energiequelle. Zudem kann der tiefe Untergrund als saisonaler Energiespeicher dienen. Als Bandenergie ist die Geothermie immer verfügbar. Sie ist kontinuierlich abrufbar und kann somit zur Stabilisierung der Stromnetze beitragen. Deshalb gilt sie als wichtiges Instrument zur Erreichung der Energiewende und des Netto-Null-Ziels.
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Geothermische Energie ist die natürliche Wärmeenergie im Erdinneren. Die Temperaturen nehmen von der Oberfläche bis zum Erdkern stetig zu, wo sie bis auf 6500 Grad Celsius steigen. Mit den verschiedenen Verfahren der Geothermie kann die Wärmeenergie in unterschiedlichen Tiefen abgeschöpft werden.
Die untiefe Geothermie nutzt die Wärmeenergie in oberflächennahen Zonen, beispielsweise mit Erdsonden und Wärmepumpen, und ist schon weit verbreitet. Ab Tiefen von 400 bis etwa 8000 Metern kommen Technologien der Tiefengeothermie zum Einsatz. Die Grenzen und Definitionen sind jedoch fliessend, da die effektiven Temperaturen nicht nur von der Tiefe, sondern auch von den geologischen Gegebenheiten im Untergrund abhängig sind. Verfahren, welche die Wärme zwischen 400 und 3000 Metern nutzen, werden zuweilen auch zur mitteltiefen Geothermie gezählt. Bis rund 1000 Meter unter der Erdoberfläche steigt die Temperatur auf rund 40 Grad Celsius, auf 5000 Meter herrschen etwa 160 Grad Celsius. In der Schweiz nehmen die Temperaturen pro 100 Meter Tiefe um etwa 3 Grad Celsius zu. Ab Temperaturen von über 100 Grad Celsius kann Strom produziert werden.
Die Nutzung der Tiefengeothermie erfordert technisch aufwendige Bohrungen und abhängig von der angewendeten Methode auch unterirdische Wärmetauschsysteme. Dabei stehen vier Technologien im Vordergrund:
Hydrothermale Systeme nutzen die Wärme aus natürlichen wasserführenden Poren- oder Kluftsystemen (geologische Reservoire) in Tiefen von 400 bis etwa 4000 Metern. Dabei wird das Warmwasser mit einer Förderbohrung an die Oberfläche geholt. Mit einem Wärmetauscher kann die Wärme dem Wasser entzogen und zum Heizen verwendet oder bei genügend hohen Temperaturen Strom produziert werden. Das abgekühlte Wasser wird anschliessend über eine zweite Bohrung in das Reservoir zurückgeleitet.
CO2-Plume-Geothermale-Systeme (kurz: CPG-Systeme) kombinieren die Gewinnung von Geoenergie mit der CO2-Speicherung im tiefen Untergrund und werden seit 2015 von der Forschungsgruppe Geothermal Energy and Geofluids (GEG) der ETH Zürich unter der Leitung von Martin Saar entwickelt. Dabei wird anstelle von Wasser flüssiges Kohlendioxid (CO2) in natürlicherweise durchlässige geologische Reservoire verpresst, wo es sich zum Teil erwärmt. Diese Reservoire, die gleichzeitig eine hohe CO2-Speicherkapazität aufweisen, befinden sich in mindestens 2 Kilometer Tiefe. Das erwärmte CO2 wird wieder an die Oberfläche geholt, wo es direkt als Wärme genutzt oder in Strom umgewandelt wird. Nach der Nutzung wird das abgekühlte CO2 erneut verflüssigt und – nach Beifügung von zusätzlichem CO2 aus Abscheidungsanlagen beispielsweise der Zementindustrie oder von Kehrichtverbrennungsanlagen – wieder in das Speicherreservoir zurückgebracht. Dadurch wird alles CO2 permanent im Untergrund gespeichert. Wegen der im Vergleich zu Wasser geringeren Viskosität von flüssigem CO2 ist zudem die Ausbeute an geothermischer Energie rund doppelt so hoch wie in Kraftwerken, die Warmwasser nutzen. Somit sind CPG-Anlagen besonders effiziente Geothermiekraftwerke, die auch noch CO2 speichern.
Petrothermale Systeme oder Enhanced bzw. Engineered Geothermal Systems (EGS) liefern Wärme aus besonders tiefen, natürlicherweise wasserfreien Gesteinsformationen in Lagen ab 5000 Meter Tiefe. Hierbei wird über eine Injektionsbohrung Wasser mit hohem Druck in das kristalline Felsgestein gepresst. Dadurch entstehen neue Klüfte und künstliche Fliesswege, die über weitere Bohrungen zu einem Kreislaufsystem verbunden werden, in denen sich das hineingepumpte Wasser erhitzt. Dieses wird dann über eine zweite Förderbohrung wieder an die Erdoberfläche gebracht und zur Wärmegewinnung oder zur Stromerzeugung genutzt.
In tiefen geschlossenen Kreislaufsystemen (engl. deep closed-loop Advanced Geothermal Systems, AGS) wird der Wärmetauscher im tiefen Untergrund komplett erbohrt und mit Rohren in heissen Gesteinsschichten eingebaut, in denen die zu erwärmende Flüssigkeit die Umgebungswärme aufnimmt. Dabei wird zunächst ein Brunnen 4 bis 8 Kilometer in die Tiefe gebohrt. Von dort ausgehend werden dann mehrere horizontale Schlaufen mit einem Durchmesser von 3 bis 10 Kilometer erbohrt.
Hydrothermale Systeme und CPG-Systeme sind auf durchlässige geologische Reservoire im Untergrund angewiesen. EGS erfordern zwar keine durchlässigen Reservoire, benötigen aber bestimmte Untergrundbedingungen wie beispielsweise ein geeignetes Gesteinsspannungsfeld. AGS hingegen sind prinzipiell überall möglich. Aufgrund der extrem hohen Bohrkosten sind sie zurzeit aber noch nicht wirtschaftlich.
Hydrothermale Systeme haben eine lange Geschichte, die ursprünglich mit der Förderung von Thermalwasser begonnen hat. In Riehen BS steht die älteste und grösste Anlage der Schweiz zur Energienutzung. Diese fördert seit 30 Jahren Warmwasser mit einer Temperatur von 67 Grad Celsius aus einer Tiefe von knapp über 1500 Metern. Mit der so gewonnenen Energie wird ein Fernwärmenetz betrieben, das Wärme für rund 10'000 Personen liefert. Neue hydrothermale Anlagen sind in der Region Genfersee und Waadtland geplant, befinden sich jedoch noch in der Prospektions- und Explorationsphase.
Das einzige petrothermale Projekt der Schweiz wird derzeit im Kanton Jura in der Gemeinde Haute Sorne JU von Geo-Energie Suisse vorangetrieben, einem Gemeinschaftsunternehmen verschiedener öffentlicher Energieversorgungsunternehmen. Mittels EGS-Technologie soll aus einer Tiefe von 4000 bis 5000 Metern Energie für die Strom- und Wärmeproduktion gefördert werden. Ziel ist es, mehr als 20 Gigawattstunden Strom pro Jahr zu produzieren, was in etwa dem Verbrauch von 6000 Haushalten entspricht.
Die mitteltiefe und tiefe Geothermie bietet ein enormes Potenzial für eine umweltfreundliche und CO2-freie Wärme- und Stromversorgung in der Schweiz. Die Energie aus dem Untergrund ist als Bandenergie über das ganze Jahr hinweg kontinuierlich verfügbar. Mit Anlagen zur direkten Wärmenutzung liessen sich über 10 Prozent des nationalen Wärmebedarfs abdecken. Beim Strom aus Geothermie sind gemäss den Energieperspektiven des Bundes 2 Terawattstunden pro Jahr realistisch. Das entspricht rund einem Viertel der Energieproduktion des Kernkraftwerks Gösgen.
Die Entwicklung wird vor allem von akademischen Akteur:innen in Forschungsgruppen der ETH Zürich, der EPFL sowie der Ostschweizer und Nordwestschweizer Fachhochschulen vorangetrieben. Konkrete Projekte werden von Planungsbüros mit entsprechendem Know-how und mit lokalen und regionalen Energieversorgern entwickelt. Mit dem Flaggschiff-Projekt AEGIS-CH hat die staatliche Förderagentur Innosuisse die Weiterentwicklung der AGS unterstützt.
Besonders EGS, in denen mit Hochdruckinjektionen die Gesteinsschichten im Untergrund stimuliert werden, sind anfällig für induzierte Erdbeben. So hatte im Jahr 2006 die Injektion von Wasser bei der Erstellung eines EGS-Kraftwerkes in Basel ein Erdbeben ausgelöst. Die anderen drei Tiefengeothermiekraftwerke (Hydrothermale Systeme, CPG und AGS) haben ein deutlich geringeres Erdbebenrisiko. Für die Sicherheit, die Wirtschaftlichkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz gerade von EGS-Kraftwerken ist es von zentraler Bedeutung, dass geklärt wird, wie diese Erdbeben ausgelöst werden.
Zur kontinuierlichen Verbesserung des Risikomanagements von Tiefengeothermie-Projekten allgemein und besonders von EGS-Projekten hat der Schweizerische Erdbebendienst (SED) an der ETH Zürich im Jahr 2015 das vom Bundesamt für Energie (BFE) finanzierte Projekt GEOBEST ins Leben gerufen, das als GEOBEST2020+ vorerst bis 2027 läuft. Darin überwacht der SED mit einem hochempfindlichen Messnetz die bisherigen Schweizer Tiefengeothermie-Projekte. Dabei entwickelt der SED Vorhersagemodelle für künstlich erzeugte Beben und geeignete Verfahren, um das Risiko von induzierten Erdbeben zu minimieren.
Die Wirtschaftlichkeit der Strom- oder Wärmeproduktion eines Projektes hängt von der Durchlässigkeit des Gesteins und der Grösse des Reservoirs ab. Doch weil der tiefe Untergrund in der Schweiz wenig bekannt ist, scheitern viele Projekte schon bei der Exploration der geologischen Voraussetzungen im Zielgebiet. Um das Fündigkeitsrisiko für Projektentwickler:innen zu minimieren, zahlt das Bundesamt für Energie seit 2018 sogenannte Erkundungsbeiträge. Für den Zeitraum von 2025 bis 2030 wurden dazu 180 Millionen Franken bewilligt.
Die Bohrungen machen bis zu 80 Prozent des Aufwandes aus. Bei Projekten in sehr tiefen Gesteinsschichten belaufen sich die Bohrkosten auf 100'000 Franken oder mehr pro Tag. Ein Hauptgrund dafür ist der Verschleiss der Bohrköpfe durch Abrieb. Dies führt dazu, dass die Geräte regelmässig mit grossem Zeit- und Kostenaufwand ausgetauscht werden müssen. Mit der Entwicklung neuer kontaktloser Bohrmethoden, die beispielsweise mit Lasern, Flammen, Plasmapulsen oder Mikrowellen funktionieren, könnte der Verschleiss verhindert oder reduziert werden. Diese Verfahren würden zu enormen Kosteneinsparungen führen und könnten die Energiegewinnung aus der Tiefe konkurrenzfähiger machen.
Die Tiefengeothermie spielt in der Entwicklung und Produktion der Bohrsysteme und Kraftwerke sowie für die Energieproduktion eine grosse Rolle. In der gesamten Wertschöpfungskette ist ein interdisziplinäres Netzwerk mit Behörden, Projektträgerschaften, Geologiebüros, Bohrfirmen und Energieunternehmen tätig. Das Potenzial für Start-ups und KMU ist begrenzt, da die Technologie hohe Investitionen erfordert und von etablierten Grossunternehmen aus dem Bereich der Erdöl- und Gasförderung dominiert wird.
Mitarbeitende im Bereich der Planung und Entwicklung von Projekten benötigen Kenntnisse in Geologie und Hydrogeologie. Daneben sind Bohringenieur:innen, Spezialist:innen im Bereich Exploration und Energiesysteme gefragt, aber auch Jurist:innen und Ökonom:innen. Das Thema Fachkräftemangel darf in der Schweiz nicht ausser Acht gelassen werden, da hierzulande die Erfahrungen aus dem Bereich der Öl- und Gasbohrungen fehlen. Dienstleistungen in diesem Bereich können allerdings bei spezialisierten Unternehmen im Ausland eingekauft werden.
International führend bei der Stromproduktion aus Erdwärme sind die USA mit einer installierten Leistung von fast 4000 Megawatt und einer jährlichen Stromproduktion von 18,7 Gigawattstunden, gefolgt von Indonesien und den Philippinen mit knapp 2400 resp. 2000 Megawatt installierter Leistung (Stand 2022). Die Philippinen haben stark aufgeholt und profitieren wie auch Indonesien von den geologisch günstigen Bedingungen im vulkanisch geprägten Untergrund mit vielen geothermischen Feldern. Solche Felder können mit den günstigeren hydrothermalen Kraftwerken genutzt werden. In Europa sind die Türkei und Italien führend.
Die Tiefengeothermie in der Schweiz steckt noch in der Entwicklungsphase. Der Fokus hierzulande liegt bislang auf Wärme statt Strom. Die geologischen Gegebenheiten, insbesondere das Fehlen von Hochtemperatur-Reservoirs nahe der Oberfläche, erschweren die Nutzung der Geothermie zur Stromerzeugung mit hydrothermalen Systemen. Dennoch zeigen aktuelle Projekte und Investitionen ein wachsendes Interesse und Potenzial. Die hiesige Forschung hat aus den gescheiterten Projekten in Basel, Lavey-les-Bains VD, St. Gallen, Vinzel VD und Zürich wertvolle Erkenntnisse geschöpft. Besonders im Bereich der Risikoabschätzung spielt die Schweiz auch international eine führende Rolle. Bei der Bohrtechnologie sind Länder, die reich an Bodenschätzen sind, aus historischen Gründen weiter voraus.
Neben dem Ausbau des Projektes in Riehen BS sind weitere hydrothermale Systeme in den Kantonen Waadt, Freiburg und Wallis geplant. Keines dieser Projekte ist schon in Betrieb. Bei einer Erkundungsbohrung in der Gemeinde Vinzel VD am Genfersee sind in einer Tiefe von rund 2200 Metern zwar wasserführende Schichten entdeckt worden, jedoch mit zu tiefer Temperatur. Ob dieses Projekt weitergeführt wird, ist deshalb noch ungewiss. Das derzeit einzige ESG-Projekt der Schweiz in Haute Sorne JU sollte planmässig ab 2029 Strom produzieren. Ob die Stimulationsphase überhaupt gestartet werden kann, wird Ende 2025 entschieden, wenn die Ergebnisse der Probebohrungen vorliegen.
Auch CPG-Systeme befinden sich noch in der Entwicklung. 2023 hat die Forschungsgruppe Geothermal Energy and Geofluids der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit der Industrie und mit Unterstützung des BFE das CPG-Konsortium gegründet, um mit einer Demonstrationsanlage die kommerzielle Umsetzung des Konzeptes zu prüfen.
Die Schweiz verfügt über ein erhebliches Potenzial für die Nutzung geothermischer Wärme. Weil die Bohrtiefen und somit die Kosten für die Gewinnung von Heizwärme geringer sind als für die Stromproduktion, sind in den kommenden Jahren mehrheitlich Anlagen zur direkten Wärmeproduktion, etwa in Fernwärmenetzen, zu erwarten.
C Schifflechner, J de Reus, S Schuster, AC Villasana, D Brillert, MO Saar, H Spliethoff. (2024) Paving the way for CO2-plume geothermal (CPG) systems: a perspective on the CO2 surface equipment.
AE Malek, BM Adams, E Rossi, HO Schiegg, MO Saar. (2022) Techno-economic analysis of advanced geothermal systems (AGS).
AE Malek, BM Adams, E Rossi, HO Schiegg, MO Saar. (2021) Electric power generation, specific capital cost, and specific power for advanced geothermal systems (AGS).
E van Oort, D Chen, P Ashok, A Fallah. (2021) Constructing deep closed-loop geothermal wells for globally scalable energy production by leveraging oil and gas ERD and HPHT well Construction Expertise.
ETH Zürich. CPG-Konsortium.
Geothermie Schweiz. Schweizer Dachverband der Geothermie-Akteur:innen.
Hydrothermale Geothermie, Petrothermale Geothermie, Enhanced bzw. Engineered Geothermal Systems (EGS), Advanced Geothermal Systems (AGS), CO2-Plume Geothermal (CPG) Systems
Peter Burgherr (PSI), Martin Saar (ETH Zürich), Silvia Ulli-Beer (ZHAW), Stefan Wiemer (ETH Zürich)
BKW, CKW, Geo-Energie Suisse, Géothermie Préalpes, Geotest, Hydro-Géo Environnement, Ingenias, Orllati, Solexperts, Swiss Geo Energy