Synthetische Biologie

Sven Panke (ETH Zürich), Thomas Ward (Universität Basel)

Komplexe Krankheiten, ineffiziente Produktionsprozesse und steigender Ressourcenverbrauch stellen Forschung, die Gesundheitsbranche und Industrie vor steigende Anforderungen. Die synthetische Biologie stellt einen vielversprechenden Lösungsansatz dar: Das interdisziplinäre Forschungsfeld bietet die Möglichkeit, biologische Systeme gezielt zu entwerfen und für nachhaltige, effiziente Lösungen nutzbar zu machen – sei es in der personalisierten Medizin, der umweltschonenden Produktion oder der klimaresilienten Landwirtschaft.

Bild: Terry Vlisidis, Unsplash

*Aktualisierte Version des Beitrags von 2023 

Definition

Die synthetische Biologie entwirft, konstruiert und (re-)programmiert gezielt biologische Systeme. Sie ist ein interdisziplinäres Teilgebiet der Life Sciences, das Prinzipien aus Biologie, Ingenieurwissenschaften und Informatik vereint. Zu den Zielen der synthetischen Biologie gehören die Umsetzung neuartiger biologischer Funktionen oder das Optimieren bestehender biologischer Prozesse. Um dies zu erreichen, werden DNA-Synthese und das Design von standardisierten, kontrollierbaren biologischen Komponenten mit vorab definierten Eigenschaften eingesetzt. Solche Komponenten sind beispielsweise genetisches Material oder Zellhüllen. Mithilfe des Prinzips Design-Build-Test-Learn entstehen modulare und skalierbare Lösungen – von minimalen Organismen mit reduzierter genetischer Ausstattung bis hin zu komplexen biohybriden Systemen, die biologische und synthetische Komponenten beinhalten.  

Heutige Anwendungen und Chancen

Die synthetische Biologie hat in der Biotechnologie Relevanz erlangt und kommt zunehmend in der Produktion komplexer Wirkstoffe zum Einsatz. Bereits heute stellt die Umprogrammierung von Mikroorganismen eine vielversprechende Methode dar, um die Produktion von wertvollen Biomolekülen wie Medikamente (beispielsweise Antibiotika und Insulin), Impfstoffe, Biotreibstoffe oder chemische Grundstoffe nachhaltig zu steigern und gleichzeitig die Effizienz in der Herstellung zu erhöhen. Ein besonderer Durchbruch ist die CAR-T-Zelltherapie – spezifisch die Herstellung gentechnisch veränderter Immunzellen, die Krebszellen gezielt bekämpfen.  

Synthetisch entwickelte Organismen finden auch in der Umweltsanierung Anwendung, beispielsweise beim Abbau von Schadstoffen wie Plastik oder bei der Aufnahme von Schwermetallen. Darüber hinaus können mithilfe der synthetischen Biologie Pflanzen hergestellt werden, welche CO2 effizienter binden und so einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. 

Auch ausserhalb der Life Sciences eröffnet synthetische Biologie neue Möglichkeiten – etwa für die sichere Herkunftskennzeichnung: Mit synthetischer DNA markierte Goldbarren lassen sich eindeutig zu einer einzigen Mine zurückverfolgen. Diese Schweizer Technologie eignet sich ebenso für Diamanten, Rohstoffe und Textilien. Für die Gesellschaft liegen die Chancen insbesondere in den Bereichen der personalisierten Medizin sowie in der Entwicklung neuartiger, effizienter Medikamente und Impfstoffe.  

Aus ökonomischer Perspektive trägt die synthetische Biologie zur Steigerung der Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit in der Produktion und bei Produkten bei. So profitieren Unternehmen in der chemischen und pharmazeutischen Industrie sowie in der Landwirtschaft von der Technologie, um ihre Umwelt- und Ressourcenziele zu erreichen. Die Schweiz verfügt über eine hohe Kompetenz in der Biotechnologie und ein innovationsfreundliches Umfeld, was sie zu einem attraktiven Standort für die synthetische Biologie macht. 

Herausforderungen

Um die zuvor genannten Chancen zu realisieren, müssen technische und gesellschaftliche Herausforderungen bewältigt werden. Einerseits sind Fortschritte in der DNA-Synthese erforderlich, um die kostspielige und zeitaufwendige Synthese ausgedehnter Erbgutblöcke zu beschleunigen und zu vereinfachen. Andererseits müssen die Prozesse für die industrielle Anwendung skaliert sowie deren Sicherheit gewährleistet werden. 

Die synthetische Biologie lebt von der Interdisziplinarität: Mit dem Departement für Biosysteme in Basel vereint die ETH Zürich alle involvierten Disziplinen an einem Standort: Chemie, Genetik, Molekularbiologie sowie Computer- und Ingenieurwissenschaften. Um den technischen und politischen Herausforderungen zu begegnen, wäre eine umfassende schweizweite Initiative auf den Gebieten der DNA-Synthese zielführend, die auch industrielle Partner einbezieht. 

Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist hoch – vor allem bei den Arzneimitteln und den chemischen Ausgangsstoffen. Um diese nicht zu gefährden, müssen Anwendungen der synthetischen Biologie in der freien Natur streng kontrolliert werden, da deren Auswirkungen noch nicht ausreichend erforscht sind. Forschungsinstitutionen sollten daher auf Transparenz in der Kommunikation und eine ethische Begleitung der Projekte achten. Eine breite Umsetzung der synthetischen Biologie kann auch ökonomische Umbrüche wie Stellenabbau in traditionellen Sektoren verursachen. Die Entwicklung sollte deshalb umsichtig und unter Einbezug der Arbeitnehmenden erfolgen. 

Fokus Industrie

Durch den Einsatz gentechnisch veränderter Organismen können Rohstoffe für die chemische Synthese sowie Zwischen- und Endprodukte präzise und nachhaltig hergestellt werden, was zu einer geringeren Abhängigkeit von Erdöl und globalen Lieferketten führt. So ermöglichen synthetisch veränderte Zellen in der Pharmaindustrie beispielsweise die lokale Produktion komplexer Medikamente. Entsprechend spielt die synthetische Biologie in der Industrie insbesondere bei der Rohstoffbeschaffung, in der Produktion und im Dienstleistungssektor eine Rolle.  

Für Unternehmen sind Kenntnisse in den Bereichen Bioinformatik, Gentechnik, Laborautomatisierung und Systembiologie von entscheidender Bedeutung. Die Kompetenzen auf Seite der Anwender:innen umfassen Bioprozesse, Regulatorien und Bioethik. 

Trotz guter Ausbildung in den Life Sciences besteht in der Schweiz Nachholbedarf bei interdisziplinären Studiengängen, die all diese Kompetenzen vereinen. Steigt die Nachfrage weiterhin stark, ist das aktuelle Ausbildungsangebot nicht ausreichend. Um das Potenzial der synthetischen Biologie in der Industrie voll auszuschöpfen, sind Investitionen in Aus- und Weiterbildung sowie eine engere Zusammenarbeit mit der akademischen Forschung unerlässlich. 

Internationale Perspektive

Schweizer Forschende und Unternehmen kooperieren global, etwa mit führenden Zentren in der EU (Danish Technical University, Delft Technical University, Imperial College London, MaxSynBio der Max-Planck-Gesellschaft, University of Edinburgh), in den USA (UC Berkeley, MIT, Stanford) und Asien. Die ETH Zürich und die EPFL nehmen an EU-Projekten wie SynBio4Flav oder EmPowerPutida teil. International tätige Unternehmen wie Givaudan oder Lonza nutzen synthetische Biologie für die Herstellung von Aroma- und Duftstoffen respektive für pharmazeutische Verfahren.  

Die Schweiz hat die Möglichkeit, mit internationalen Kooperationen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und ihre Relevanz in der globalen Entwicklung synthetischer Biologie zu sichern. 

Zukünftige Anwendungen

Die synthetische Biologie wird eine zentrale Rolle in der personalisierten Medizin spielen: Therapien können gezielt auf genetische Merkmale von Patient:innen abgestimmt werden. Zukünftig ist sogar die Integration biologischer Schaltkreise in den menschlichen Körper zur Erkennung von Krankheitsmarkern und automatischen therapeutischen Reaktionen denkbar. 

Andererseits erweitern künstliche Metalloenzyme das Repertoire chemischer Reaktionen erheblich. Sie verbinden die Anpassungsfähigkeit kleiner Moleküle mit der Vielfalt von Proteinen und eröffnen so neue Möglichkeiten in der Herstellung komplexer Arzneistoffe und Spezialchemikalien. 

Auch in der Landwirtschaft eröffnet die synthetische Biologie neue Perspektiven: Genetisch angepasste Mikroben und Pflanzen versprechen höhere Erträge, mehr Widerstandsfähigkeit gegenüber Umweltstress und einen geringeren Bedarf an chemischen Hilfsmitteln. Damit leistet die synthetische Biologie einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigerem Anbau. In der Schweiz sind solche Anwendungen allerdings wegen des Gentech-Moratoriums blockiert; eine differenzierte Lockerung wäre wünschenswert. Für die Raumfahrt bietet sie Lösungen für autarke Langzeitmissionen, etwa dank Systemen zur Sauerstoffproduktion, Lebensmittelherstellung und Abfallverwertung. Synthetische Biologie könnte auch zu einer Revolution in der Informatik führen: DNA-Computer nutzen genetisches Material zur Datenspeicherung und -verarbeitung – ein Ansatz mit grossem Potenzial, der aber noch in Entwicklung ist. 

Die synthetische Biologie verbindet biologische und ingenieurwissenschaftliche Ansätze, um dringende Fragen in Medizin, Produktion, Landwirtschaft und Umweltbereichen anzugehen. Ihre Stärke liegt in der gezielten Gestaltung lebender Systeme, die sich für eine Vielzahl von Anwendungen flexibel einsetzen lassen – von der Entwicklung personalisierter Therapien über die nachhaltige Herstellung komplexer Wirkstoffe bis hin zur Verbesserung landwirtschaftlicher Prozesse. So kann sie zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und zur Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen beitragen. Um ihr Potenzial voll auszuschöpfen, braucht es jedoch gezielte Investitionen in Forschung, Ausbildung und Infrastruktur sowie eine verantwortungsvolle, transparente Umsetzung. Mit ihrer wissenschaftlichen Exzellenz und ihrer Innovationskraft bringt die Schweiz beste Voraussetzungen mit. 

Weiterführende Informationen

X Yan, X Liu, C Zhao, GQ Chen. (2023) Applications of synthetic biology in medical and pharmaceutical fields.  

AP Liu, EA Appel, PD Ashby, BM Baker, E Franco, L Gu, K Haynes, NS Joshi, AM Kloxin, PHJ Kouwer, J Mittal, L Morsut, V Noireaux, S Parekh, R Schulman, SKY Tang, MT Valentine, SL Vega, W Weber, N Stephanopoulos, O Chaudhuri. (2022) The living interface between synthetic biology and biomaterial design.  

S Panke. (2020) Taming the beast of biology: Synthetic biology and biological systems engineering

CA Voigt. (2020) Synthetic biology 2020–2030: six commercially-available products that are changing our world.  

SCNAT. (2015) What is synthetic biology? 

EmPowerPutida. Exploiting native endowments by re-factoring, re-programming and implementing novel control loops in Pseudomonas putida for bespoke biocatalysis.  

SBA. Swiss Biotech Association.  

SynBio4Flav. Providing a path for the standardized production of flavonoids.  

SynBioBeta. The Global Synthetic Biology Conference.  

Keywords

Synthetic Biology, Genome Engineering, Metabolic Engineering, Synthetic Pathways, Bio-Manufacturting, Biological Circuits 

Akademische Akteur:innen

Beat Christen (ETH Zürich), Jacob Corn (ETH Zürich), Bruno Correia (EPFL), Martin Fussenegger (ETH Zürich), Robert Grass (ETH Zürich), Jörg Jores (Universität Bern), Mustafa Khammash (ETH Zürich), Kathrin Lang (ETH Zürich), Sebastian Maerkl (EPFL), Jan Roelof van der Meer (Universität Lausanne), Michael Nash (ETH Zürich), Sven Panke (ETH Zürich), Randall Platt (ETH Zürich), Sai Reddy (ETH Zürich), Jolanda Schärli (Universität Lausanne), Jörg Stelling (ETH Zürich), Jan-Willem Veening (Universität Lausanne), Thomas Ward (Universität Basel) 

Firmen

DSM-Firmenich, Givaudan, Lonza, Novartis, Roche