Expert:innen: Tobias J. Kippenberg (EPFL), unter Mitwirkung von Rachel Grange (ETH Zürich)
Photonisch integrierte Schaltkreise erlauben, optische Signale direkt auf einem Chip zu erzeugen, zu detektieren und zu manipulieren, und sie werden auf der Basis von Silizium bereits in Datenzentren kommerziell eingesetzt. Solche Chips weisen eine höhere Übertragungsgeschwindigkeit sowie eine grössere Bandbreite auf und arbeiten energieeffizienter als herkömmliche elektronische Chips. In den letzten Jahren hat der Einsatz neuer Materialien eine neue Generation von photonisch integrierten Schaltkreisen hervorgebracht. Diese hat das Potenzial, eine ganze Reihe von Märkten zu revolutionieren. Sie können in Medizinprodukten, in der Raumfahrt, Telekommunikation oder für Abstandsmessung eingesetzt werden. Die Technologie gilt als bahnbrechend – gerade im Hinblick auf den zu erwartenden zukünftigen Stromverbrauch der IT-Infrastruktur – und bietet Marktchancen besonders für neue und kleine, aber hoch spezialisierte Akteur:innen.
Bild: Ligentec
Laserlicht ist das Hauptübertragungsmedium unserer Informationsgesellschaft. Licht wird dabei primär in optischen Glasfasern transportiert. Herkömmliche integrierte Schaltkreise, bekannt als Chips, nutzen Elektrizität zur Signalübertragung und bestehen aus einer Anordnung von elektronischen Bauteilen wie Transistoren, Verstärkern und Widerständen auf einer Halbleiterscheibe. Bei photonisch integrierten Schaltkreisen (Photonic Integrated Circuits, PICs) werden die elektronischen durch photonische Bauteile ersetzt und Licht wird zur Signalübertragung genutzt. Photonische Bauteile sind beispielsweise Filter, Laserdioden und Wellenleiter.
Die integrierte Photonik erlebt derzeit eine zweite Revolution. Bislang ist nur die integrierte Photonik auf der Basis von Silizium eine ausgereifte, kommerzielle Technologie, welche vor allem für Sendeempfänger mit kurzer bis mittlerer Reichweite in Netzwerken von Rechenzentren eine bedeutende Rolle spielt. Silizium ist allerdings trotz seiner enormen Bedeutung für die Mikroelektronik in Bezug auf seine optischen Eigenschaften kein ideales Material, da es verlustbehaftet und im Bereich des sichtbaren Lichts nicht nutzbar ist. Trotz der Anwendungen in Datenzentren ist es bisher nicht gelungen, die Technologie breiter nutzbar zu machen. Dies ist im Begriff, sich zu ändern: Die Verwendung neuartiger Materialien wie Galliumphosphid, Lithiumniobat oder Siliziumnitrid für PICs ermöglicht den Zugang zu neuen Wellenlängenbereichen sowie zu neuen physikalischen Effekten. Darauf basierende Laserquellen oder Modulatoren ermöglichen die Herstellung von kleineren und effizienteren, aber doch skalierbaren PICs, die zudem leistungsfähiger sind als die bisherigen optischen Technologien. Integrierte Photonik kann damit eine Vielzahl von Anwendungsfeldern revolutionieren. Mit solch neuartigen photonischen Chips können optische Frequenzkämme erzeugt werden, die wie ein Laserlineal für Licht wirken und zur Vermessung von optischen Frequenzen verwendet werden. Anwendung finden diese photonisch integrierten Frequenzkämme in Datenzentren oder auch in ophthalmologischen Medizinprodukten wie z. B. in der optischen Kohärenztomografie (Optical Coherence Tomography, OCT), in der Metrologie und Raumfahrt, bei Assistenzsystemen für autonomes Fahren (siehe Beitrag Autonome Fahrzeuge) wie auch in der Telekommunikation und Militärtechnik. Gleichzeitig können diese PICs auch in der Grundlagenforschung eingesetzt werden – beispielsweise in der Quantenforschung. PICs sind eine Enabling-Technologie, die in zahlreichen Industrieklassen zu bahnbrechenden Entwicklungen führen kann.
Jüngste Fortschritte haben gezeigt, dass die integrierte Photonik, basierend auf hybriden Ansätzen und unter Nutzung neuer Materialien, weit über die Datenübertragung hinaus ein enormes Potenzial hat, z. B. bei der Informationserfassung mit LiDAR-Sensoren oder bei der Informationsverarbeitung in KI-Anwendungen sowie in der Sensorik oder Medizintechnik.
Die in den letzten Jahren entwickelten neuartigen PICs, welche neue Materialien nutzen und gleich mehrere Materialsysteme in einem Chip kombinieren, zeichnen sich durch Funktionalitäten zur Lichterzeugung, -verstärkung oder -modulation sowie durch mehr Bandbreite, eine höhere Übertragungsgeschwindigkeit und einen geringeren Energieverbrauch aus. Im Hinblick auf den zu erwartenden zukünftigen Stromverbrauch der IT-Infrastruktur könnten sie so zu einem Gamechanger werden. Die Ausschöpfung des vollen Potenzials hängt aber entscheidend davon ab, dass die wichtigsten Herausforderungen bei integrierten photonischen Bauelementen und den zugehörigen Materialien überwunden werden.
Mit Blick auf die Wirtschaft ergeben sich grosse Chancen für neue Unternehmen und damit auch für neue Arbeitsplätze. Im Gegensatz zur Elektronik ist die integrierte Photonik ein stark fragmentierter Markt, in dem sich Spezialisierungen in Nischen anbieten. So können auch neue Akteur:innen einen bedeutenden Anteil am Weltmarkt erlangen – wie bereits bestehende Unternehmen in der integrierten Photonik aus der Schweiz dies gezeigt haben. Angesichts der grossen Zahl der benötigten hoch spezialisierten Materialien, ihres Zusammenbaus sowie spezifischer Anwendungen und Dienstleistungen bieten sich zukünftige Marktchancen für Dutzende bis gar Hunderte von Unternehmen. Dabei ist der Photonikmarkt trotz seiner Fragmentierung erheblich. Insgesamt kann sich die Schweiz als bedeutender Ort für die Entwicklung der nächsten Generation integrierter Photonik etablieren und besitzt bereits heute bedeutende Akteur:innen.
Das Haupthindernis für Projekte im Gebiet der integrierten Photonik ist der hohe Finanzbedarf. Dieser äussert sich insbesondere bei Investitionen in Reinräume. Integrierte Photonik-Start-ups können aufgrund der enormen Kosten keinen eigenen Reinraum betreiben oder unterhalten. Erfolgreiche Standorte wie Stanford, Twente und Santa Barbara, an denen Start-ups florieren, nutzen den Universitätsreinraum für Start-ups. Dies erfordert jedoch einen Reinraum mit rigider Prozesskontrolle, um externen Nutzer:innen Zugang gewähren zu können. Für zuverlässige und reproduzierbare Verarbeitung muss die Reinrauminfrastruktur so angepasst werden, dass es zu keiner Vermischung von Prozessen kommt.
Die Nutzung dieser zweiten Generation von PICs wird die Rechenleistung von Computern mit ihren Anforderungen an grössere Bandbreite massiv erhöhen. Sie haben nicht nur das Potenzial, den Lasermarkt zu revolutionieren, der immer noch auf klassischen Technologien wie optischen Fasern und teilweise auf manueller Fertigung beruht. Diese zweite Generation von PICs erlaubt auch den Bau von neuartigen optischen Computern sowie von Metrologie-Laboren auf einem Chip und ermöglicht neuartige Quellen zur Erzeugung von Mikrowellensignalen, wie sie für 5G- oder 6G-Netze notwendig sind.
Die Vernetzung der relevanten Akteur:innen ist unzureichend. So mangelt es an einem Nationalen Forschungsschwerpunkt oder einem anderen fokussierten Programm zur Entwicklung der nächsten Generation integrierter Photonik. Entwicklungen in diesem Gebiet erfordern hohe Investitionen, da neben Personal insbesondere die sehr kostenintensive Reinraumtechnik notwendig ist. Die herkömmliche Forschungsfinanzierung in der Schweiz sieht nicht genügend Projektmittel vor.