Expert:innen: Steffen Maier (Sika)
Entwicklungen bei Kleb- und Dichtstoffen führen dazu, dass geklebte Produkte insgesamt nachhaltiger werden. Dies kann nicht nur erreicht werden, indem nachwachsende Rohstoffe verwendet werden. Der Einsatz von Klebstoff kann auch zu Materialeinsparungen führen, die Lebensdauer des Produkts verlängern oder die Isolation von Gebäuden verbessern und erlaubt somit einen effizienteren Einsatz von Ressourcen wie Energie und Materialien. In Zukunft werden die Produktkosten zudem nicht nur von den Rohstoffen bestimmt, sondern auch von der CO2-Bilanz. Firmen aus der Kleb- und Dichtstoffindustrie, welche die entsprechenden Daten liefern, werden einen klaren Geschäftsvorteil haben.
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Nachhaltige Kleb- und Dichtstoffe machen Produkte insgesamt nachhaltiger. Der CO2-Fussabdruck des Bauteils soll über den ganzen Lebenszyklus optimiert werden. Dabei ist nicht allein entscheidend, ob der Kleb- oder Dichtstoff aus biobasierten oder rezyklierten Rohstoffen hergestellt wird; viel wichtiger ist, dass das geklebte Produkt als Ganzes nachhaltiger wird. Dies kann auf vielfältige Art erreicht werden: durch eine Gewichtsreduktion dank Materialeinsparung, durch eine Verlängerung der Produktlebensdauer oder durch eine Verbesserung der Isolationseigenschaften, aber auch dadurch, dass der Klebstoff das Recycling des Bauteils nicht behindert.
Es gibt heute bereits Kleb- und Dichtstoffe, die auf nachwachsenden Rohstoffen wie Mais basieren. Ein solches Vorgehen ergibt nur Sinn, wenn es nicht in Konkurrenz zu den Lebensmittelströmen steht. Zudem decken nachhaltige Rohstoffe mit ihren Eigenschaften nicht alle Einsatzgebiete ab. Die Chemie bietet mit ihrem Baukastenprinzip deutlich vielfältigere Möglichkeiten für die breite Anwendung. Dank des technologischen Fortschritts steigt die Zahl der zur Verfügung stehenden Materialien, was eine Triebkraft für die Entwicklung neuer Klebstoffe ist.
Kleben und Dichten ist ein etabliertes Fügeverfahren und kommt überall dort zum Einsatz, wo unterschiedliche Materialien miteinander verbunden werden müssen; für gewisse Materialkombinationen wie Glas und Metall ist Kleben das einzig sinnvolle Fügeverfahren. Kleben und Dichten betrifft etwa den Gebäudebau, Windkraft- und Solaranlagen sowie den Leicht- und Fahrzeugbau, aber auch die Lebensmittelindustrie. Klebstoffe verbinden nicht nur Komponenten, sondern haben zudem auch einen Einfluss auf die Statik oder Stabilität der verklebten Teile. So sind beispielsweise verklebte Autoscheiben ein tragender Bestandteil der Carrosserie und tragen zu deren Stabilität bei; dasselbe gilt für geklebtes Isolierglas bei Fensterscheiben.
In Zukunft werden dank neuartigen Klebstoffen vermehrt Fügeverfahren wie Nieten, Schweissen oder Schrauben durch Kleben ersetzt. Breite Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich aus der Tatsache, dass Kleben die Materialfestigkeit besser ausnutzt als andere Verfahren: Die Kraft wirkt bei geklebten Teilen flächig und nicht punktuell; die verwendeten Materialien können demnach dünner sein, was Gewicht und häufig auch Energie spart. Im Gegensatz zu Nieten, Schrauben oder Schweisspunkten haben Klebstoffe eine isolierende Wirkung. Alle dies sind Eigenschaften im Sinne der Nachhaltigkeit und Reduktion des CO2-Fussabdrucks.
Um die positiven Eigenschaften von Klebstoffen optimal auszuspielen und in vielen Industrieklassen einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten, ist es essenziell, dass Firmen neue Wege gehen und neue Lösungen suchen. Nur dann bieten Kleb- und Dichtstoffe die Chance auf unbedenklichere, da weniger toxische Produkte und die Möglichkeit, mit Ressourcen verantwortungsbewusster umzugehen. Dazu gehören auch indirekte Erfolge wie das Einsparen von Energie in Fertigungsprozessen, wenn Weiterentwicklungen dazu führen, dass Klebstoffe bei tieferen Temperaturen verarbeitet werden können oder Prozessschritte wegfallen. Zukünftig werden nicht nur die Rohstoffe die Produktkosten bestimmen, sondern auch die gesamte CO2-Bilanz. Firmen, die sich früh mit der Thematik auseinandersetzen und die entsprechenden Daten liefern können, werden einen klaren Geschäftsvorteil haben. Schweizer Firmen sind gut aufgestellt, diese Chancen wahrzunehmen: Sie sind führend auf dem Gebiet und verfügen über etablierte Kooperationen mit Hochschulen sowie eine gute Infrastruktur und Rechtssicherheit.
Damit die geschilderten Anwendungen Realität werden, braucht es technischen Fortschritt. Eine grosse Herausforderung liegt darin, toxische und problematische Stoffe wie Lösungsmittel zu ersetzen, beispielsweise durch wasserbasierte Produkte. Dies würde auch die Akzeptanz in der Gesellschaft verbessern. Zugleich geht der Trend weg von maximaler Klebeleistung zu «Debonding on demand»: Die Klebkraft soll während der gesamten Lebensdauer des Produkts zuverlässig sein; doch am Ende des Lebenszyklus sollen sich die Bauteile als Reaktion auf einen Stimulus wie Induktion, Strom oder Temperaturänderung voneinander lösen lassen. Damit Klebstoffe den Recyclingprozess nicht behindern, sollten sie von den verklebten Teilen rückstandslos lösbar sein. Vorstellbar ist aber auch, dass Klebstoffe aus dem gleichen Basismaterial hergestellt werden wie das zu verklebende Teil: Fürs Recycling fällt dann ein sortenreines Material an – eine grosse Herausforderung für die Chemie hinter den Klebstoffen. Im Bau kommt noch das Problem dazu, dass bei Altbauten nicht bekannt ist, welches Material wo verbaut ist. Bei Bauten neueren Datums schafft Building Information Modelling Abhilfe.
Der Druck der Regulierungsbehörden, bewährte Rohstoffe strenger zu regulieren oder zu verbieten, wird weiter steigen, ebenso der Aufwand und die Kosten, um den gesteigerten Anforderungen zu genügen. Dies wirkt innovationshemmend. Dazu kommt, dass KMU diese Ausgaben häufig nicht stemmen können und von den steigenden Anforderungen und der Komplexität in der Zulassung überfordert sind.
Um den Übergang zu nachhaltigen Kleb- und Dichtstoffen zu meistern, ist für Schweizer Firmen der internationale Marktzugang wichtig: Sowohl in der Forschung als auch in der Wirtschaft wird Internationalität gelebt. Zudem sollten neue Regularien umsetzbar und international harmonisiert sein; nationale Lösungen behindern den Fortschritt.