Expert:innen: Thomas Küchler (Schweizerische Südostbahn AG)
Neue Mobilitätskonzepte haben in den letzten Jahren einen regelrechten Aufschwung erlebt. So sind an vielen Orten der Schweiz neue Projekte und Initiativen entstanden, welche die Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr verringern und Angebote schaffen möchten, die den klassischen öffentlichen Verkehr ergänzen.
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Eine allgemeine Definition von Mobilitätskonzepten gibt es nicht. Zuweilen werden diese auch als neue Mobilität oder Mobilität 4.0 bezeichnet. In der Regel umfassen Mobilitätskonzepte die Zielbilder, die dahin führenden Massnahmen sowie die neuen Geschäftsmodelle, die mit solchen neuen Formen der Mobilität einhergehen.
So sehr sich Mobilitätskonzepte unterscheiden, und sich aufgrund von regionalen Differenzen unterscheiden, so sehr zeichnet sich auch ab, dass sich die Mobilität der Zukunft durch eine Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger auszeichnen wird. Sprich multimodal sein, Sharing-Konzepte nutzen und so die Unterscheidung von Individual- und Kollektivverkehr aufweichen wird. Zukünftige Mobilitätskonzepte bestehen typischerweise aus einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehr, welcher durch niederschwellige On-Demand-Services ergänzt und auch zugängliche Carsharing- oder Ridesharing-Angebote umfasst. Insgesamt verfolgen Mobilitätskonzepte das Ziel, den Verkehr kostengünstiger und nachhaltiger zu machen. Zudem geht es darum, Mobilität auch Menschen zu ermöglichen, die heute diese erst eingeschränkt nutzen können.
Seitens der Kund:innen stehen Angebote im Vordergrund, die das Bedürfnis nach einem Ortswechsel mit der effizientesten, schnellsten oder kostengünstigsten Kombination unterschiedlicher Verkehrsträger befriedigen. Im Zentrum internationaler Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen stehen Mobility-as-a-Service-Anwendungen; das sind Dienstleistungen, die unterschiedliche Verkehrsträger zu einer einzigen Dienstleistung verbinden.
In den vergangenen Jahren führten Kapazitätserhöhungen im öffentlichen Verkehr meist zu Mehrverkehr statt zu einer Veränderung des Modal-Splits, einem höheren Anteil des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehr. Mit dem Mehrverkehr wachsen auch die zurückgelegten Distanzen. Damit der Verkehrssektor seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten und die wachsende Nachfrage bewältigen kann, braucht es neue Konzepte, die Einwohner:innen und Besucher:innen dazu bewegen, vermehrt auf den motorisierten Individualverkehr zu verzichten.
Derzeit gibt es ein stark wachsendes Angebot an neuen Formen der Mobilität; an vielen Orten in verschiedenen Regionen finden Pilotprojekte statt. Während es in den Städten und im suburbanen Raum meist darum geht, den ohnehin schon gut ausgebauten öffentlichen Verkehr effizienter und kostengünstiger zu gestalten, sollen in ländlicheren Gegenden Angebote geschaffen werden, welche die Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr verringern. Dies wird nur durch eine dauerhafte Etablierung eines zuverlässigen und den Bedürfnissen von Einwohner:innen und Besucher:innen entsprechenden Mobilitätssystems erreicht.
Verschiedene Initiativen versuchen, gemeinsam mit Unternehmen Projekte zu lancieren, mit denen Mitarbeiter:innen dazu bewegt werden sollen, den Gebrauch des Privatfahrzeugs zu verringern. Sei es durch Mitfahrgelegenheiten oder durch das Fördern von «Bike to Work». Das etwas anders geartete Projekt «Alpine Mobility» versucht das Problem anzugehen, dass der öffentliche Verkehr in ländlichen Gebieten ein nicht annährend so dichtes Netz an Haltestellen hat wie in den städtischen Zentren. Dazu werden gemeinsam mit dem Verein MyBuxi Angebote entwickelt, die den öffentlichen Verkehr ergänzen. MyBuxi ist ein Taxi- und Shuttleservice, der von ehrenamtlich tätigen Fahrer:innen betrieben wird.
Längerfristig wird ein digitales Abbild aller Verkehrsströme ein zentraler Pfeiler für die Entwicklung neuer Mobilitätsformen. Diese dient sowohl der Angebotssteuerung als auch einer effizienteren Allokation von Transportressourcen und der Vermeidung von Stausituationen.
Viele Projekte im Bereich neuer Mobilitätskonzepte nutzen Anbieter, die nicht als konzessionierter öffentlicher Verkehr gelten. Die Finanzierung ist entsprechend nicht geregelt. Damit sind solche Projekte auf Förderprogramme angewiesen und verfügen über keine dauerhafte Finanzierungsbasis, etwa durch Umschichtung von Mitteln des öffentlichen Verkehrs. Zudem laufen solche Pilotprojekte oft zu kurz, um nachhaltig Vertrauen zu schaffen und eine effektive Änderung der Mobilitätsgewohnheiten zu erwirken.
Derzeit gibt es Bestrebungen, eine nationale Mobilitätsdateninfrastruktur (MODI) zu etablieren, die es erlaubt, dass Daten zwischen den verschiedenen Marktakteur:innen geteilt werden. Wie eine solche Plattform realisiert werden könnte und welcher Funktionsumfang eine solche Plattform haben sollte, ist noch nicht abschliessend geklärt. Verschiedene Marktakteur:innen bezeichnen den Prozess als zu langsam und starten eigene Initiativen, so haben die Städte Basel, Bern und Zürich eine gemeinsame Initiative lanciert.
Mobility-as-a-Service-Anwendungen öffnen Türen für neue Geschäftsmodelle. Es zeichnet sich ab, dass die Mobilität der Zukunft die Grenze von individueller und kollektiver Mobilität auflöst und sich Angebote etablieren werden, die Elemente aus beiden Bereichen kombinieren. Dazu gehört die Wahl von Routen und Haltestellen, sodass sie den Bedürfnissen den Kund:innen am besten entsprechen und helfen, Staus zu vermeiden. Damit soll eine situative Steuerung des Verkehrs möglich werden.
Ressourcen, Flächen, Baumaterialien, aber auch Energie sind zu günstig, da externe Kosten nicht eingepreist sind. Damit wälzt der Verkehrssektor weiterhin Kosten auf die Allgemeinheit ab. Kein Land ist bereit, das Thema Mobility Pricing wirklich anzugehen und so mehr Kostenwahrheit zu schaffen. Zudem ist der Einfluss von Bau- und Autoindustrie unverändert gross. Dadurch besteht politisch wenig Interesse, den Verkehr gesamthaft effizienter zu gestalten, also die bestehende Infrastruktur besser zu nutzen. Denn dies würde den weiteren Ausbau des Verkehrsnetzes und somit weitere Investitionen verzögern.
Die Schweiz hätte gute Voraussetzungen zur Umsetzung neuer Mobilitätskonzepte. Allerdings fehlt der Mut und Wille, grossräumige Versuchsprojekte zu lancieren, die in einer Gesamtstrategie und in einem ganzheitlichen Verkehrskonzept eingebunden sind. Springen grosse Internetkonzerne, die über riesige Mengen von Mobilitätsdaten verfügen, in diese Lücke, wird die Mobilität ein stückweit der demokratischen Kontrolle entzogen werden.
In den letzten Jahren sind einige Projekte im Bereich neuer Mobilitätskonzepte entstanden. Dies hat unter anderem auch mit neuen Förderinstrumenten, etwa jenen des Bundesamtes für Energie BFE, zu tun. Wenn es gelingt, Geld in Projekte zu lenken, die einen Ausbau von Infrastrukturen obsolet machen und dadurch wiederum Ressourcen freisetzen, wäre die Finanzierung vieler Projekte mittel- bis langfristig gesichert.