Expert:innen: David Atienza (EPFL), Daniel Schmid (ZHAW)
Das Konzept des digitalen Zwillings verbindet physische Produkte mit ihrem digitalen Abbild und sorgt für einen Datenaustausch zwischen den beiden Einheiten. Heute werden digitale Zwillinge vornehmlich in der Industrie eingesetzt, sie versprechen aber, auch in anderen Bereichen wie in der Smart City oder im Digital Health eingesetzt werden zu können, wo es schon heute erste Forschungsbereiche gibt. Gelingt der Wissenstransfer aus der Forschung in konkrete Anwendungen, könnten Schweizer KMU dank ihrem Know-how, dem guten Renommee und der Stabilität der Schweizer Wirtschaft und Politik Akzente bei Spezialanwendungen setzen.
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Das Konzept des digitalen Zwillings besteht typischerweise aus drei Bestandteilen:
Dank des digitalen Zwillings kann das physikalische Objekt gesteuert oder eingebettet in umfassendere Ansätze wie der Predictive Maintenance bzw. Smart Maintenance unterhalten werden. Für Unternehmen aus der produzierenden Industrie bieten digitale Zwillinge eine Möglichkeit, ihre Produkte durch Services zu ergänzen. Damit ist das Konzept des digitalen Zwillings ein elementarer Baustein dessen, was als Industrie 4.0 bezeichnet wird.
Digitale Zwillinge – auch Digital Twins genannt – werden vornehmlich in der produzierenden Industrie eingesetzt. Einerseits herstellerseitig in der Produktentwicklung, um Simulationen von digitalen Prototypen durchzuführen, aber auch in der Qualitätssicherung, um den Zustand von Maschinen und Produktionsanlagen zu überwachen. Andererseits werden digitale Zwillinge dazu verwendet, den Lebenszyklus von Produkten zu überwachen, um gegebenenfalls Serviceleistungen oder Updates einzuspielen oder zu einer Wartung aufzurufen.
Die grundsätzliche Stossrichtung der weltweiten Anstrengungen in Forschung und Entwicklung versuchen, das Konzept des digitalen Zwillings vermehrt auch ausserhalb der Industrie fruchtbar zu machen. Beispielsweise gibt es Versuche im Gesundheitswesen im Rahmen von Digital-Health-Anwendungen. Ein weiteres Forschungsfeld sind Implementationen im Bereich der Smart City, etwa indem das Verkehrsaufkommen verursacht durch Personen- und Warenströme modelliert wird. Solche Modelle können beim Städtebau helfen oder zur Steuerung von elektronischen Verkehrsleitsystemen genutzt werden. Auch Modelle von Bauwerken, das Building Information Modelling, ist eine Form des digitalen Zwillings.
In der Schweiz gibt es zahlreiche Forschungsaktivitäten im Bereich des digitalen Zwillings. Allerdings folgen aus diesen Bemühungen erst wenige kommerzielle Anwendungen. Die Verbindung von digitalen Zwillingen mit Sensoren und künstlicher Intelligenz bietet grosses Potenzial für neue Anwendungen. In den letzten Jahren gab es beachtliche Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz; allerdings sind viele Sensoren sehr teuer, da es sich bei diesen oft um spezifische Einzelanfertigungen handelt.
Die zentralen Impulse in der Entwicklung von digitalen Zwillingen kommen von den grossen, internationalen Systemlieferanten. Trotzdem bieten sich den Schweizer KMU dank des hohen Renommees des Standorts Chancen für innovative, angepasste Lösungen. Anwendungsseitig ist es nicht leicht, die Schweiz im Hinblick auf die Implementation von digitalen Zwillingen zu vergleichen, da sie ein Land von KMU ist und das Gros der bereits implementierten digitalen Zwillingen ist bei Grossunternehmen im Einsatz. Obwohl viele KMU aus der produzierenden Industrie noch keinen digitalen Zwilling installiert haben, lohnt es sich, entsprechende Anwendungen zu prüfen und die Entwicklungen auf dem Feld zu beobachten.
Eine Implementation von digitalen Zwillingen und entsprechenden Anwendungen führt nicht nur zu technischen Herausforderungen, sondern braucht auch entsprechende Fähigkeiten im Umgang mit Daten und Modellen. Gerade KMU produzieren oft relativ kleine Losgrössen, was bei der Modellbildung zum Problem führen kann. Bei Modellen, die auf kleinen Datensätzen beruhen, kann es sein, dass die in das Modell eingehenden Daten eher Einzelepisoden darstellen, bei denen fraglich ist, ob und inwiefern sie repräsentativ für die Gesamtpopulation sind.
Bei Anwendungen, die mögliche Sicherheitsfolgen für Nutzer:innen haben, ist die rechtliche Situation noch nicht vollständig geklärt. So ist, analog zur Haftungsfrage bei autonomen Fahrzeugen, noch unklar, wer haftet, wenn wegen des Befolgens eines Modells ein Schaden entsteht. Im Unterschied zu Autos kann ein Schaden in einer Produktionsanlage oder mit einem Modell zudem erst verspätet eintreten, was das Nachvollziehen der Kausalitätskette stark erschwert.
Eine weitere Herausforderung mit digitalen Zwillingen sind Fragen der Cybersicherheit. Obwohl diese Herausforderung für alle digitalen Produkte gleichermassen gilt, zeigt sich, dass Fragen der Sicherheit nicht nachgelagert behandelt werden dürfen, sondern im Kern der Produktentwicklung mitbedacht werden müssen.
Es gibt zwar einige Aktivitäten an den Schweizer Hochschulen, es fehlt jedoch an effektiven Fördermitteln für Projekte zu digitalen Zwillingen, da diese oft verschiedene Disziplinen umfassen und schnell sehr personal- und kostenintensiv werden. Zudem ist eine stärkere Vernetzung der Akteur:innen untereinander erforderlich.