Expert:innen: Ueli Angst (ETH Zürich), Barbara Lothenbach (Empa)
Die Zement- und Betonindustrie ist verantwortlich für rund 8 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen. Entsprechend gross sind Notwendigkeit und Potenzial, um die Dekarbonisierung im Bausektor weiter voranzutreiben.
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Nach Gewicht ist Beton das meist verwendete, künstlich hergestellte Material. Ohne Beton – und damit ohne Zement – kommt kaum ein Neubau aus. An verschiedenen Orten entlang des Herstellungsprozesses von Beton, der zu einem wesentlichen Bestandteil aus Zement besteht, entstehen Treibhausgasemissionen. Rund die Hälfte des CO2 entsteht infolge der ablaufenden chemischen Reaktion bei der Umwandlung vom Ausgangsstoff, Kalkstein und Ton, in Portlandzement. Der Rest stammt aus der Energie, die nötig ist, um die Hochöfen auf über tausend Grad zu erhitzen, sowie aus dem Stromverbrauch für die Mahlwerke und aus dem Transport. So verursacht die Zement- und Betonindustrie ca. 8 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses, was in etwa der dreifachen Menge des internationalen Flugverkehrs entspricht.
Die Schweizer Zement- und Betonindustrie hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es verschiedene Strategien. Die vielleicht offensichtlichste besteht darin, den Beton durch Zugabe von Ergänzungsstoffen so zu ändern, dass dieser weniger Zement enthält und damit bei gleicher Betonmenge weniger CO2 anfällt. In Ländern mit einer starken Stahlindustrie oder einem nennenswerten Kohleabbau werden dem Beton schon seit vielen Jahren andere Materialien zugemischt, etwa Schlacke oder Flugasche, die beide als Industrieabfälle der beiden Industriezweige anfallen. Heute versucht die Forschung, Materialien zu entwickeln, die ähnliche Eigenschaften haben wie Zement, aber nicht aus gebranntem Kalkstein bestehen. Ein weiterer Ansatz zur Reduktion des CO2-Ausstosses sequestriert das anfallende CO2 der Zementherstellung. Das abgeschiedene CO2 wird dann für weitere Industrieprozesse genutzt oder, ebenfalls eine Forschungsfrage, wieder im Beton eingelagert.
Eine weitere Möglichkeit zur Senkung des CO2-Ausstosses besteht darin, Zemente oder zementähnliche Baustoffe zu entwickeln, die eine andere chemische Zusammensetzung aufweisen und im Brennvorgang kein CO2 freisetzen. Ein vielversprechender, an der Empa erforschter Kandidat dafür ist Magnesiumsilikat. Daraus wird ein Magnesiumoxid hergestellt, das dann in der Produktion des Zements mit Wasser und CO2 angereichert wird. Dadurch nimmt der Baustoff sogar CO2 auf und speichert dieses. Diese zementähnlichen Baustoffe haben allgemein die Herausforderung, dass sie nicht gleich alkalisch sind wie Zement und dementsprechend den Stahl schlechter vor Korrosion schützen.
Die Emissionen aus dem Brennvorgang sind, solange Zement verwendet wird, unvermeidbar. Damit diese nicht direkt in die Atmosphäre gelangen und ihre klimaschädliche Wirkung entfalten, kann das frei werdende CO2 aus den Abgasen abgeschieden und eingelagert oder für andere Industrieprozesse genutzt werden.
Üblicherweise wird Betonabbruchmaterial auf Deponien eingelagert und nicht wieder verwendet. Unterdessen gibt es allerdings erfolgreiche Versuche, den Betonabbruch zu mahlen und als Ersatz für den Kies wieder im Beton zu verwenden. Weitere Versuche führen dem gemahlenen Zement CO2 zu, sodass aus dem Beton wieder ein kalksteinähnlicher Rohstoff wird, der dann anderen Materialien beigemischt werden kann. Damit soll das in der Produktion des Zements entstehende CO2 gewissermassen gespeichert werden. Solcherart aufbereiteter Zement kann zum Beispiel als Füllstoff in der Kunstharzindustrie verwendet werden.
Die Forschung zur Reduktion der Treibhausgasemissionen von Zement und Beton verfolgt auch die Frage, wie bereits verbauter Zement und Beton zu einem CO2-Speicher werden könnte. Im Rahmen von Pilotversuchen funktioniert eine solche CO2-Aufnahme durch Beton und Zement. Allerdings müssen die Rahmenparameter wie Feuchtigkeit noch besser kontrolliert werden können, damit der im Beton verbaute Stahl nicht korrodiert.
Die Schweiz ist führend in der Verwendung von Recycling-Beton. Dennoch: Die Bauindustrie ist eher konservativ, d. h. Neuerungen wie Beton, der CO2 speichert, werden eher zögerlich aufgenommen. Solange die entsprechenden Normen den Einsatz nicht fordern, wird aufseiten der Industrie wenig passieren, um solche neuen Materialien oder Verfahren zum Durchbruch zu verhelfen.
Werden die entsprechenden Normen und Gesetze angepasst und eine Einlagerung von bestimmten Mengen an CO2 gefordert, könnte sich die Schweiz eine Vorreiterrolle aufbauen. Sobald gezeigt werden kann, dass sich solcher Beton auch wirtschaftlich lohnt, etwa durch Verteuerung der CO2-Lenkungsabgaben, werden sich solche Verfahren und Produkte von allein durchsetzen; bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg in der Forschung, der Entwicklung und der Zertifizierung.
Die Schweiz verfügt über eine, auch im internationalen Vergleich, sehr starke Zement- und Betonindustrie. Die zahlreichen Hochschulen und Forschungsinstitutionen, die sich mit dem Thema beschäftigen, schaffen zudem ideale Voraussetzungen, um den Bausektor weiter zu dekarbonatisieren. Eine effiziente Förderung könnte etwa über den Branchenverband oder über entsprechende Normen geschehen, die einerseits für Gewissheit sorgen, andererseits den Einsatz von Zement und Beton reglementieren und womöglich gar Zielwerte festschreiben. Das würde Rechtssicherheit schaffen.