Expert:innen: Carolin Holland (SBB), Martin Neubauer (SAAM)
Autonome Fahrzeuge haben das Potenzial, zu einem Gamechanger in der Mobilität zu werden. Dafür ist einerseits die Überwindung technischer und regulatorischer Hürden erforderlich. Andererseits wird nur eine vorwiegend kollektive Nutzung autonomer Fahrzeuge einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben und einen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen leisten.
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Hochautomatisierte Fahrzeuge (SAE-Stufe 4) sind Fahrzeuge, die auf bestimmten Strecken, bei geeigneten Licht- und Wetterverhältnissen oder in spezifischen Verkehrssituationen, in sogenannten Operational Design Domains, die Fahraufgabe vollständig übernehmen können. Endet ein solcher Streckenabschnitt oder tritt ein unvorhergesehenes Ereignis, d. h. eine Störung auf, bringt sich das Auto eigenständig in einen Zustand minimalen Risikos, bremst ab oder parkt sich ein. Die Fahrt muss danach von der Person am Steuer übernommen werden. Ein autonomes bzw. selbstfahrendes Fahrzeug (SAE-Stufe 5) kann die Fahraufgabe vollständig und in allen Situationen übernehmen und verfügt gemäss heutigen Designstudien zum Teil nicht einmal mehr über ein Lenkrad.
Da hoch und voll automatisierte Fahrzeuge Daten verarbeitende Maschinen sind, erstaunt es nicht, dass die Treiber der Entwicklung von hoch und voll automatisierten Fahrzeugen vor allem die grossen Softwarehersteller sind, wenngleich die klassische Autoindustrie in den letzten Jahren aufgeholt hat.
In der Technologieentwicklung stammen autonome Fahrzeuge nicht von Assistenzsystemen ab, obwohl diese eingesetzt werden, sondern von der Forschung im Bereich der autonomen Roboter: Um ein klassisches in ein autonomes Auto – eigentlich ein grosser autonomer Roboter – zu verwandeln, muss es lediglich mit genügend Computern, Datenanalysemethoden, Navigationshilfen, Sensorik und Aktuatoren ausgestattet werden. Allerdings wurde in letzter Zeit deutlich, dass diese Komponenten eine grössere Herausforderung darstellen als gedacht. Angesichts der vielen möglichen Szenarien und Situationen im Strassenverkehr erweist sich das Vorhaben, Fahrzeuge zu automatisieren, als sehr komplex. Entsprechend kam es in den letzten Jahren nicht nur im öffentlichen Diskurs, sondern auch unter Expert:innen zu einer gewissen Desillusionierung, was den Zeitpunkt der Einführung betrifft.
Autonome Strassenfahrzeuge der SAE-Stufe 5 gibt es derzeit noch nicht auf dem Weltmarkt. Die ersten Hersteller werben damit, dass sie die SAE-Stufe 4 beherrschen. Dazu zählen die grossen amerikanischen Hersteller Cruise und Waymo sowie die israelische Intel-Tochter Mobileye. In einem Pilotprojekt von Mobileye und der Deutschen Bahn sollen in und um Frankfurt 30 bis 40 hochautomatisierte Fahrzeuge zum Einsatz kommen. Nach ersten Versuchen in der Schweiz wird in Schaffhausen ein neues Forschungsprojekt starten. Das Projekt ist eine gemeinsame Aktivität des finnischen Unternehmens Sensible 4, Toyota, dem Swiss Transit Lab und dem Verein Swiss Association for Autonomous Mobility (SAAM). Dabei handelt es sich um Shuttles für den Personennahverkehr, die auf vordefinierten Routen selbstständig fahren, also der SAE-Stufe 4 zugeordnet werden.
Autonome Fahrzeuge können, sofern sie mit dem öffentlichen Verkehr verknüpft werden, auch in der Schweiz zu einem Gamechanger in der Mobilität werden, indem sie neue und innovative Mobilitätskonzepte ermöglichen. Werden autonome Fahrzeuge kollektiv statt individuell genutzt, könnten sie zu einem Effizienz- und Flächengewinn führen: beim Parkraum, bei Kapazitätsgewinnen auf der Strasse und in der Steuerung des gesamten Verkehrsaufkommens. Ein Versprechen, das mit autonomen Fahrzeugen einhergeht, ist die erhöhte Verkehrssicherheit durch Reduktion von Unfällen. Ob sich das realisieren lässt, ist unklar. Sollte es sich aber realisieren, würden die gesellschaftlichen Kosten des Verkehrs sinken.
In den USA sind bereits einige hochautomatisierte Fahrzeuge im kommerziellen Betrieb. In der Schweiz ist dies aufgrund der Rechtslage noch nicht der Fall. Allerdings gibt es bereits erste Testflotten.
Derzeit zeigt sich, dass durchaus Geschäftsmodelle möglich sind, wenn automatisierte Fahrzeuge aus der Ferne gesteuert, also mittels Teleoperation betrieben werden. Insbesondere ergeben sich Vorteile in sehr bestimmten Einsatzgebieten: etwa in Fabriken, in der Lagerlogistik oder in privaten Umgebungen, zum Beispiel mit automatisiertem Valet Parking. Diese Geschäftsmodelle sind vielleicht nicht so spektakulär, wie dies die Marketingabteilungen der Herstellerkonzerne versprechen.
Hinsichtlich der Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge bestehen grosse, nicht unerhebliche Herausforderungen, so zum Beispiel in der frühzeitigen und verlässlichen Objekterkennung, gerade bei schlechten Witterungsbedingungen. Regen, Nebel oder Schneefall können die Sensorik empfindlich stören. Die Datenverarbeitung muss in Echtzeit geschehen, was angesichts der anfallenden Datenmenge – BMW spricht von 40 Terabyte pro Auto und Tag – keine Selbstverständlichkeit ist. Das automatisierte Fahrsystem muss angesichts der Vielzahl möglicher Situationen in der Lage sein, auch auf Situationen reagieren zu können, mit denen das System noch nie, auch nicht in Simulationen, konfrontiert war und zu denen es kaum Daten gibt. Eine weitere Herausforderung, insbesondere für die Infrastruktur, besteht im Bereitstellen von flächendeckenden und ausfallsicheren Internetverbindungen, die einen genügend hohen Datendurchsatz erlauben (siehe Beitrag 5G-Anwendungen). Ferner gibt es grosse Fragezeichen hinsichtlich der Einführung im Strassenverkehr. Etwa beim Nachweis der funktionalen Sicherheit und der Strassentauglichkeit solcher Fahrzeuge. Hinsichtlich der Organisation des Strassenraumes sind rechtliche Anpassungen notwendig. Wie ein Nebeneinander des Langsamverkehrs und von nicht automatisierten bzw. hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugen aussehen soll, bleibt ungeklärt und ist Gegenstand vieler Studien. Derzeit ist unklar, wie sich autonomes Fahren auf die Gesamtmobilität auswirken wird. Angesichts der Vorteile autonomer Fahrzeuge ist denkbar, dass die Autos eine erhöhte Fahrleistung aufweisen werden, was wiederum negative Auswirkungen auf die Umwelt haben wird.
Für Projekte im Bereich autonomer Fahrzeuge bewegen sich die Schweizer Fördermittel im Vergleich zu Deutschland und dem restlichen Europa auf sehr tiefem Niveau und sind nur für Grundlagenforschung, nicht aber für Pilotprojekte ausreichend. Zudem profitieren Schweizer Organisationen zurzeit noch von EU-Fördermitteln.
Neben der finanziellen Förderung braucht es aber vor allem Klarheit in der Regulierung bezüglich der Bedingungen, unter denen die Technologie kontrolliert ausgerollt werden kann. Zum Teil wird dies mit der Revision des Strassenverkehrsgesetzes und der entsprechenden Verordnung gelöst. Wünschenswert sind ausserdem eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Kantonen und Pilotprojekte, um die Gesellschaft auf den Wandel vorzubereiten.