Prävention statt Problembehebung in der Orthopädie: Der 3D-Druck revolutioniert die Möglichkeiten in der Fertigung von Fusseinlagen. Davon können nicht nur Sportler:innen profitieren, sondern die Gesundheit aller Personen, die im Alltag viel gehen oder stehen.
Bild: Orthopodo Malgaroli
Unscheinbare Geschäftsräumlichkeiten in Baden – auffallend ist nur die Podologie von Orthopodo Malgaroli im Erdgeschoss. Drei Stockwerke weiter oben öffnet sich eine andere Welt, die Welt des Orthopädie-Fachgeschäfts gleichen Namens: Markensneaker reiht sich an Markensneaker, Sportschuh an Sportschuh. Alle Modelle lassen sich mittels Einlagen oder anderer Anpassungen personalisieren – sogenanntes Schuhtuning. Die klassischen Orthopädieschuhe sind die Ausnahme; die Auswahl an Schuhen wirkt modern und ansprechend. Malin Malgaroli, Leiterin strategische Projekte bei Orthopodo Malgaroli, bestätigt den Eindruck und erklärt auch gleich die Firmenphilosophie: «Die Schuhe sollen nicht nur den Problemen entgegenwirken, sondern den Träger:innen gefallen und ihnen Freude bereiten.»
Der Firmenrundgang beginnt im Zimmer mit dem spezialisierten Laufband, auf dem die ausführlichen Ganganalysen gemacht werden. Firmengründer und Geschäftsinhaber Mario Malgaroli erklärt, dass eine eigens entwickelte Software die Ergebnisse mit der Norm vergleicht und Abweichungen anzeigt: Nicht nur die Druckbelastung der Füsse wird gemessen, sondern auch die Spannung der Unterschenkelmuskulatur sowie die Kräfte in den Füssen und Gelenken. Denn häufig liegt die Ursache nicht in der gefühlten Problemstelle, sondern anderswo am Fuss oder im Bewegungsapparat. Mit Computersimulation wird aus den Ergebnissen ein dreidimensionales Modell der Fusseinlage erstellt und an die Produktion geschickt. Dort entsteht an der CNC-Fräse und danach an der Schleifmaschine in Handarbeit die massgeschneiderte Fusseinlage. Langjährige Spezialist:innen arbeiten meist mit Augenmass.
Fusseinlagen entstehen aus Kunststoffblöcken; der Schleifprozess ist aufwendig, lärmig, staubig und generiert viel Abfall. Im Sitzungszimmer zeigt ein zu 80 Prozent gefüllter Würfel mit einer Seitenlängen von zwölf Zentimetern den anfallenden Abfallberg pro Fusseinlage. Obwohl die klassisch gefertigten Fusseinlagen den Zweck erfüllen, gibt es Verbesserungspotenzial. Erstens sind nie zwei Einlagen genau gleich, auch wenn vom gleichen räumlichen Modell ausgegangen wird; der manuelle Prozess verunmöglicht dies. Und zweitens sind die Abfallberge, die Tag für Tag in der Werkstatt anfallen, nicht zu vernachlässigen. Mario Malgaroli sieht in jedem Problem eine Herausforderung und mögliche Lösungen, die er in der kleinen, neu aufgebauten F&E-Abteilung entwickeln und testen lässt. Er ist getrieben von der Vision, dass Stillstand Rückschritt ist. Die Lösung für die Probleme bei den Fusseinlagen sah er im 3D-Druck. Um seine Vision umzusetzen, war Orthopodo Malgaroli auf einen Forschungspartner angewiesen, welche die Firma im Team von Daniel Seiler an der FHNW fand. Innert Monaten wurde der Prototyp des 3D-Druckers gebaut, der dank mehrerer Druckköpfe und im Filamentverfahren gleichzeitig Kunststoffe verschiedener Härten verarbeiten kann – ein Multimaterial-3D-Drucker also (s. Showcase: Fusseinlagen aus dem 3D-Drucker). So entstehen Fusseinlagen mit einem Skelett aus härterem Kunststoff und weicheren Zonen für die empfindlichen Bereiche an den Füssen.
Der 3D-Druck löst beide der erwähnten Herausforderungen: Die Einlage ist bei jedem Druckvorgang identisch und weil mit Filamenten gedruckt wird, ist der im Prozess anfallende Abfall quasi gleich null.
Bald entstanden erste Prototypen, die bei den Testpersonen für Begeisterung sorgten und zu wertvollem Feedback führten, das an die Forschenden der FHNW weitergeleitet wurde. Aus den Beteiligten bei Orthopodo Malgaroli und an der FHNW entstand so ein echtes Team, das Erfolge und auftretende Probleme in einer WhatsApp-Gruppe teilt. Die Zusammenarbeit ist geprägt von Respekt und Vertrauen und lebt von der gemeinsamen Vision, der geteilten Leidenschaft und dem Spass am Projekt.
Wie diese Vision aussieht, wird klar, wenn man die Auslage der gedruckten Fusseinlagen anschaut: Diese sind personalisiert und bunt. In Zukunft sollen sie nicht erst zum Einsatz kommen, wenn sich die Probleme schon zeigen, sondern bereits präventiv oder um den Komfort beim Gehen oder Stehen zu erhöhen. Ein Lifestyle-Produkt, das auch optisch attraktiv ist. Es erstaunt wenig, dass die Mitarbeitenden auf die Fusseinlagen schwören. Ein aktiver Beitrag an die Gesundheit der Belegschaft und zugleich auch ein grosses Testlabor. Dazu gehören auch verschiedene Profisportler:innen aus den Bereichen Golf, Padel und Triathlon, welche die Einlagen ebenfalls nutzen und wertvolle Rückmeldungen für die Weiterentwicklung geben.
Die Vision reicht aber noch weiter: Orthopodo Malgaroli strebt eine dezentrale Produktion an und möchte vermehrt die präventive Zielgruppe erreichen. Der erste Schritt wurde getan, indem die Druckdauer massiv verkürzt wurde. Der Druck einer Einlage dauert noch zwischen 30 und 45 Minuten – ungefähr so lang wie die Schuhgrösse in Zentimetern.
«Orthopädie entstauben», nennt Malin Malgaroli als Ziel. Wörtlich in der Werkstatt und bildlich in Bezug auf das Image. Die Füsse haben es verdient, tragen sie doch täglich eine Last von 1000 Tonnen, legen jährlich 1,9 Millionen Schritte zurück und wandern in einem Leben viermal um die Erde.