Expert:innen: Julia Biwer (Abbmira Therapeutics), Marc Creus (Abbmira Therapeutics)
Krebs bleibt für Behandelnde und Behandelte eine der grössten medizinischen Herausforderungen. Abbmira Therapeutics hat dank In-silico-Screening und künstlicher Intelligenz einen Bestandteil von bakteriellen Zellwänden identifiziert, der die Umgebung verschiedener Tumorarten umprogrammieren kann. Die resultierende Entzündung markiert den Tumor für das Immunsystem und könnte die Prognose für Patient:innen deutlich verbessern.
Bild: National Cancer Institute (Unsplash)
Die Zahlen sind erschreckend: In der Schweiz gibt es jährlich 46'500 neue Krebsfälle und mit 25 Prozent aller Todesfälle sind Krebserkrankungen die zweithäufigste Todesursache. Trotz aller Fortschritte bei den Medikamenten und Behandlungen scheinen Krebszellen den Mediziner:innen stets einen Schritt voraus zu sein. So auch bei den PD1-Inhibitoren, einer Klasse von Krebsmedikamenten, die das Immunsystem bei der Erkennung und Bekämpfung von Krebszellen unterstützen. Sie sind als Hoffnungsträger ins Rennen gestiegen; trotzdem entwickeln bis zu 70 Prozent der Patient:innen innert kurzer Zeit eine Resistenz gegen die Inhibitoren oder sie sprechen gar nicht erst auf die Behandlung an.
Makrophagen sind Teil des Immunsystems. Sie reagieren schnell auf Fremdkörper und spielen somit auch beim Kampf des Körpers gegen Krebszellen eine wichtige Rolle.
Tumorassoziierte Makrophagen, eine spezialisierte Unterform der Makrophagen in der unmittelbaren Umgebung von Tumoren, existieren in zwei Varianten: in der entzündungsfördernden, immunaktiven und tumorunterdrückenden M1-Form sowie in der entzündungshemmenden, immunsuppressiven und tumorfördernden M2-Form. Es gibt in Bezug auf Krebs demnach die Guten und die Bösen. Das Gleichgewicht zwischen den beiden Formen bestimmt massgeblich die unmittelbare Umgebung eines Tumors und somit auch den Behandlungserfolg: Tumore mit einem hohen Anteil der M2-Form bedeuten eine deutlich schlechtere Prognose für Patient:innen als Tumore, bei denen die M1-Form dominiert.
Und genau hier setzt das Verfahren von Abbmira Therapeutics an. Oder wie es Mitgründerin und COO Julia Biwer ausdrückt: «Die Tumorumgebung muss umprogrammiert werden und dem Körper signalisieren, dass ein Problem vorliegt. Wir verfolgen hier einen neuen Ansatz.» Denn verschiebt sich das Verhältnis der spezialisierten Makrophagen zugunsten der M1-Form, reagiert der Körper mit einer Entzündungsreaktion und der Aktivierung des Immunsystems auf den Fremdkörper Krebs.
Gewisse Bakterienstämme, die zufällig oder gezielt in die Umgebung des Tumors gelangen, können das Verhältnis der M1- zur M2-Form in der Mikroumgebung eines Tumors positiv verändern, eine lokale Entzündung verursachen und so den Tumor quasi für das Immunsystem markieren. Doch welche Komponente dieser Bakterien ist verantwortlich für die beobachtete Wirkung? Marc Creus, Co-Gründer und CEO von Abbmira Therapeutics, war damals überzeugt: «Die Antwort liegt in der wissenschaftlichen Literatur.»
Data Mining war angesagt – mit Erfolg. Das Team identifizierte dank umfassender Literaturstudien und unter Einsatz von künstlicher Intelligenz ein Molekül in der bakteriellen Zellwand, das zu einer Entzündungsreaktion in der unmittelbaren Umgebung von Tumoren führt und demnach zu einer guten Prognose für die Behandlung von Patient:innen beiträgt. Die bakterielle Verbindung aktiviert einen Rezeptor in tumorassoziierten Makrophagen, der zur Ausbildung der M1-Form beiträgt. Marc Creus bringt es auf den Punkt: «Die Guten übernehmen das Steuer.»
Abbmira Therapeutics hat keine eigenen Labors und liess deshalb das bakterielle Molekül – Codename C42 – extern synthetisieren. Auch die biologischen Tests wurden von externen Firmen durchgeführt. Die Wirksamkeit von C42 wurde in Mausmodellen für Hautkrebs getestet, in Kombination mit einem PD1-Inhibitor und im Vergleich zum PD1-Inhibitor als Monotherapie. «Die eintreffenden Daten waren der Startschuss für die Firmengründung und die weitere Forschung», stellt Julia Biwer begeistert fest. Denn die Kombinationstherapie reduzierte das Tumorwachstum im Vergleich zur Monotherapie deutlich.
In der klassischen pharmazeutischen Forschung werden grosse Sammlungen von möglichen Wirkstoffen unterschiedlicher Struktur, sogenannte Bibliotheken, in biologischen Experimenten auf ihre Wirksamkeit geprüft und dann die aktiven Kandidaten isoliert. Bei Abbmira Therapeutics fand dieses Screening auf dem Computer und im Kopf von Marc Creus statt und ein einziges Molekül war die Basis für die Entwicklung eines zukünftigen Wirkstoffes. Ganz nach dem Motto: ein Kandidat – ein Treffer. Einer der Vorteile neben den tieferen Kosten ist, dass das Team bereits ein ausgeprägtes Verständnis vom Molekül und seinen Eigenschaften und Eigenheiten hat. Dies beschleunigt die Weiterentwicklung.
Auch wenn C42 im Mausmodell wirksam ist, hat es bis zu den klinischen Studien und bis zu einer möglichen Zulassung noch einen weiten Weg vor sich. Es muss für den pharmazeutischen Einsatz in Bezug auf Struktur sowie Arznei- und Verabreichungsform optimiert werden. Dann gilt es, Nachweise zur Pharmakologie und Toxikologie in Tieren, zur Herstellung, zur Reinheit und zur Stabilität zu erbringen, um die Bewilligung für die Durchführung der ersten Phase einer klinischen Studie zu erhalten. Ein zentraler Aspekt ist das Festlegen der ersten Anwendung. Es gibt etliche Tumoren mit einem hohen Anteil der M2-Form, deren Behandlung von C42 profitieren könnte: Darm-, Eierstock- und Lungenkrebs sowie Glioblastome, bösartige Hirntumore.
Die junge, im September 2024 gegründete Firma profitiert bei der weiteren Entwicklung von C42 von den Möglichkeiten des Life Sciences Cluster Basel. Dies nicht nur in Form von Räumlichkeiten, sondern auch dank ehemaliger Fachkräfte aus der pharmazeutischen Grossindustrie, die mit ihrer Expertise die Firma unterstützen und beraten.
In Anlehnung an das afrikanische Sprichwort, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind grosszuziehen, kann bei pharmazeutischen Leitmolekülen von einem ganzen Ökosystem gesprochen werden, das es zur erfolgreichen Entwicklung in ein Medikament braucht. Nur dank des innovativen Umfelds in Basel kann das «Baby» C42 erwachsen und zu einem möglichen Gamechanger in der Krebstherapie werden.