Expert:innen: Ursula Graf-Hausner (graf 3dcellculture), Ralph Müller (ETH Zürich), Michael Raghunath (ZHAW)
Mit der Herstellung von komplexem Gewebe kann 3D-Biodruck die regenerative Medizin revolutionieren und massgeblich zur personalisierten Medizin beitragen. Für die Schweiz ist die Technologie eine grosse Chance, da international kompetitive Akteur:innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Inland angesiedelt sind.
3D-Biodruck ist eine spezifische Anwendung im breiten Feld des 3D-Drucks. Dabei werden lebende menschliche Zellen gezielt auf gedruckte Strukturen gesprüht oder in ein Trägermaterial, die Biotinte, eingebettet und räumlich in einer Matrix positioniert. So können kleine Modelle verschiedener Gewebe und als langfristiges Ziel implantierbare Organe für die personalisierte, regenerative Medizin gedruckt und theoretisch beliebig aufgebaut werden. Die optimale Ausgestaltung der Matrix mit Proteinen und Wachstumsfaktoren trägt dazu bei, dass sich die lebenden Zellen wie gewünscht entwickeln.
Bislang gab es erst wenige Versuche, Organe oder Gewebe hoher Komplexität zu drucken. Ein erfolgreiches Beispiel aus der regenerativen Medizin ist die gedruckte Luftröhre, welche momentan die für die Zulassung notwendigen klinischen Studien durchläuft und bei Verletzungen Abhilfe schaffen kann. Bei anderen Organen ist die Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten. 3D-Druck bietet vor allem für die Herstellung von Organen oder Strukturen wie Muskel, Herz und Knochen, die einer hohen mechanischen Belastung ausgesetzt sind, Vorteile: Eine starre Struktur ist vorgegeben und kann mit verschiedenen Zelltypen besiedelt werden. Ein Problem ist allerdings, dass die Zellen zwar den Druckprozess überleben, danach aber an fehlender Durchblutung sterben. Die Durchblutung geschieht heute durch Diffusion, was für grössere Strukturen nicht ausreichend ist. Die Idee, ganze, funktionale Organe zu drucken, wird frühestens in 20 Jahren Wirklichkeit werden.
Versorgung durch Diffusion reicht aus, wenn die gedruckten Konstrukte, beispielsweise dreidimensionale Gewebemodelle, klein sind. Solche Miniorgane aus menschlichen Zellen, auch Organoide genannt, werden in der Wirkstoffentwicklung sowie für Wirkstofftests und toxikologische Studien eingesetzt. Da mit menschlichem Gewebe gearbeitet wird, ist die Aussagekraft solcher Studien hoch. Zudem wird dadurch die Anzahl Tierversuche reduziert, was gesellschaftspolitisch und ethisch wichtig ist. Dank 3D-Biodruck können personalisierte Studien mit krankem Gewebe durchgeführt werden; die Technologie wird somit zu einem Wegbereiter für die personalisierte Medizin. Regulatorisch ergeben sich bei einem solchen Ansatz keine Probleme, da das entnommene Gewebe nicht transplantiert, sondern nur für Laborstudien genutzt wird. Allerdings stellt der hohe Preis ein Hindernis dar. Die Anwendung dürfte sich primär auf seltene Krankheiten beschränken. Der aus der Studie von Miniorganen resultierende Wissensgewinns beschleunigt sowohl die Grundlagen- wie die angewandte Forschung.
In den kommenden Jahren werden sich die Anwendungen weiterhin vor allem auf In-vitro-Modelle wie Gewebemodelle und Organoide beschränken. An den 3D-Druck angelehnte Technologien, die ebenfalls eine gezielte räumliche Anordnung von Zellen erreichen, dürften die Herstellung von Strukturen ermöglichen, die näher am physiologischen Zustand sind als 3D-gedruckte Geometrien. Eine zukünftige Anwendung im weit gefassten Feld des 3D-Biodrucks ist die Herstellung von Laborfleisch (s. auch Beitrag Alternative Proteinquellen und Implantate ab dem Lautsprecher). Der Druck kann dem Endprodukt eine Faserstruktur verleihen, was in normaler Zellkultur kaum möglich ist.
3D-Biodruck kommt nicht als Einzeltechnologie zum Einsatz und ist Teil des umfassenderen Bereichs des Biomanufacturing. Dieser befasst sich nicht nur mit dem Herstellungsprozess des Gewebes, sondern berücksichtigt auch die vorgelagerte Produktion von Hardware, die optimale Versorgung der Gewebe und den nachgelagerten Einsatz von analytischen Methoden. International kompetitive Akteur:innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette sind in der Schweiz angesiedelt, wozu auch die pharmazeutischen Grossunternehmen gehören. Zudem ist der hiesige Forschungsstandort auf dem Gebiet stark. Demnach bietet die Thematik der Schweiz grosse Chancen. Trotzdem braucht es eine Koordination durch den Bund: Die Akteurinnen entlang der gesamten Wertschöpfungskette sollten beispielsweise mithilfe eines Innovation Booster – dem Förderinstrument der Innosuisse – oder eines Nationalen Forschungsprogramms zusammengebracht werden. Dies würde der Forschung einen grossen Schub verleihen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken und verhindern, dass die Schweiz zu einer Mitläuferin wird.
Die Technologie ist vielversprechend, wird aber von regulatorischen Anforderungen gebremst. Für Dosisfindungs- und Toxizitätsstudien sind Tierversuche regulatorisch vorgeschrieben, weshalb sich der Einsatz von 3D-gedruckten Modellen für die Industrie nicht lohnt. Wie in den USA sollten die Regulierungsbehörden bereits früh in der Entwicklung einbezogen werden, um 3D-gedruckte Modelle als Ersatz für Tierversuche zuzulassen. Was bei Kosmetika funktioniert hat, könnte auch bei gedruckten Gewebemodellen erfolgreich sein: Der gesellschaftliche Druck hat letztendlich eine Änderung der Regularien erzwungen. Es ist zu erwarten, dass die langfristige Vision – der Druck von implantierbaren Organen – bei der Gesellschaft auf Akzeptanzprobleme stossen wird, vor allem, wenn die verwendeten Zellen genetisch verändert werden. Kurzfristig stellen allerdings eher die übersteigerten Erwartungen der Bevölkerung an In-vitro-Systeme ein Problem dar.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Zusammensetzung der Biotinte und der Matrix eine Herausforderung: Die Materialien müssen druckbar sein, zugleich aber eine «natürliche» Umgebung für die zu druckenden Zellen darstellen und körperverträglich sein. Der Gedanke an die Zulassung muss bereits von Beginn weg einbezogen werden, damit die Anwendungen nicht auf Gewebemodelle beschränkt bleiben. Auch ist die Integration von Blutgefässen in die gedruckten Strukturen ein Problem. Die Forschenden sind aber zuversichtlich, dass das Problem der Versorgung grösserer Strukturen lösbar sein wird.
Ein hoher Automatisierungsgrad, der von der Zellentnahme bis zur Herstellung von Organmodellen reicht und unter sterilen Bedingungen stattfindet, könnte der Technologie einen Schub verleihen. Der Raumbedarf würde im Vergleich zu den heutigen Ansätzen sinken, die auf Tierexperimente und die entsprechende Infrastruktur angewiesen sind. Prominente Akteur:innen wie die Hamilton Bonaduz AG und die Tecan Group AG mit Sitz in der Schweiz bieten das Know-how.
Momentan liegen die Anwendungen vor allem im akademischen Bereich und bei spezialisierten Start-ups. Es macht für ein KMU wenig Sinn, in die Technologie zu investieren, wenn es nicht bereits inhouse Erfahrung mit Zellkultur hat. In der Regel ist es für KMU günstiger, diese Anwendung als Dienstleistung zu beziehen. Ansprechpartner:innen sind die Fachhochschulen und Universitäten, wobei sich in der Umsetzung von Projekten aber Probleme mit dem Intellectual Property (IP) ergeben können. Interessant sind Modelle von Anbieter:innen, die zwar als Firma agieren, aber noch akademisch eingebunden sind: Die Anbindung an die neuesten Forschungsergebnisse ist gegeben, gleichzeitig ist aber auch die IP-Situation klar geregelt.
Ein konkretes Anwendungsbeispiel findet sich im Beitrag Implantate ab dem Lautsprecher.