Plasma­technologien

Expert:innen: Ivo Furno (EPFL), Christian Theiler (EPFL)

Global steigt der Energiebedarf und die Suche nach CO2-armen Energiequellen wird intensiviert. Die Produktion und der Einsatz von Chemikalien wie Dünger und Pestizide führen zu einer zunehmenden Umweltbelastung. Und die Anzahl der Krebsdiagnosen nimmt in einer alternden Bevölkerung zu. Was wie eine Auflistung der grossen Herausforderungen unserer Zeit wirkt, ist durch ein Material verbunden: Plasma. 

Plasmatechnologien bieten grosses Potenzial, genau diese Herausforderungen anzugehen. Sie umfassen Anwendungen in der Energieversorgung, industriellen Produktion, Medizin und Landwirtschaft. Sie reduzieren den Energieverbrauch und können bestehende Prozesse effizienter gestalten. Besonders hervorzuheben ist die Fusionsenergie – eine vielversprechende Lösung für eine nachhaltige, CO2-arme Stromproduktion im grossen Massstab – und die Entwicklungen rund um sogenannte Nichtgleichgewichtsplasmen, die in der Biomedizin und Landwirtschaft völlig neue Wege eröffnen.

Bild: Kellen Barnes, Unsplash

Definition

Plasma, oft als vierter Aggregatszustand bezeichnet, ist ein ionisiertes Gas, das aus geladenen Teilchen wie freien Elektronen und Ionen sowie aus neutralen Atomen besteht. Es macht rund 99 Prozent des sichtbaren Universums – zum Beispiel aktive Sterne und Blitze – aus. Plasma wird durch die Zufuhr von Energie erzeugt, wodurch Elektronen aus den Atomen herausgelöst werden. Bei gezielter technischer Erzeugung eröffnet es vielfältige industrielle und medizinische Anwendungen. 

Es gibt unterschiedliche Plasmatypen. Im Hochtemperaturplasma haben die Partikel – Elektronen und Ionen – ähnliche Energien und können oft als Gleichgewichtsplasma betrachtet werden. Sie existieren bei Temperaturen von Tausenden bis Millionen Kelvin, Bedingungen, unter denen zahlreiche physikalische Prozesse wie Kernfusion erleichtert ablaufen. Das Niedertemperatur-Nichtgleichgewichtsplasma – auch Low-Temperature Non-Equilibrium Plasma oder LTNE-Plasma genannt – ist eine Variante des Nichtgleichgewichtsplasmas. Es zeichnet sich dadurch aus, dass die Elektronen eine viel höhere Energie haben als Ionen und die neutralen Teilchen und dass es bei moderaten Temperaturen reaktive chemische Moleküle erzeugt. 

Heutige Anwendungen und Chancen 

Das Hochtemperaturplasma findet Anwendung in der Kernfusion: Wird ein Plasma aus schwerem (Deuterium) und superschwerem (Tritium) Wasserstoff durch magnetische Felder bei ungefähr 100 Millionen Kelvin stabil eingeschlossen, verschmelzen die beiden Wasserstoffisotope und bilden Helium und ein Neutron, wodurch grosse Mengen an Energie freigesetzt werden. Auch wenn sich diese Anwendung noch im Forschungsstadium befindet, profitiert die Wirtschaft bereits heute von zahlreichen Spin-offs und Fortschritten in anderen Bereichen. Dazu gehören Hochleistungsmagnete mit Anwendungen in Industrie und Medizin, neue Simulationsverfahren, die Entwicklung von verbesserten Materialien sowie Verfahren zur Oberflächenbearbeitung. 

LTNE-Plasmen zeichnen sich durch Elektronen hoher Energie sowie Ionen und neutrale Atome niedrigerer Energie aus. Sie erzeugen bereits bei niedrigen Temperaturen deutlich unter 1000 Kelvin freie Radikale und reaktive Moleküle, wodurch sie bei Lebewesen und hitzeempfindlichen Oberflächen eingesetzt werden können. So ist heute aus medizinischer Sicht die Behandlung von gut erreichbaren Tumoren und diabetischen Läsionen bedeutsam, aus industrieller Sicht die Bearbeitung und Desinfektion von Oberflächen. 

Das wissenschaftlich und technologisch anspruchsvolle Thema ist eine grosse Chance für die Schweizer Wissenschaft und Industrie, die sich durch ihre hohe Kompetenz in der Plasmaphysik und Materialforschung auszeichnen: Fusionsenergie könnte langfristig die Energieversorgung sichern und dekarbonisieren. LTNE-Plasmen bergen hohes Potenzial, da sie nachhaltige und chemiefreie Prozesse in Industrie, Landwirtschaft und Medizin ermöglichen. Mit den Forschungsgruppen an der EPFL, der ETH Zürich und dem PSI ist die Schweiz gut aufgestellt. 

Herausforderungen 

In der Fusionsforschung steht die Materialbelastung durch hochenergetische Teilchen, das Langzeitverhalten von Reaktorkomponenten und die Optimierung des Plasmas und seiner Stabilität im Fokus. Der Nachweis, dass Fusionsreaktoren mit der für kommerzielle Zwecke notwendigen Grösse gebaut und zuverlässig betrieben werden können, steht noch aus. Obwohl die Forschung vom Neubauverbot für Atomkraftwerke nicht tangiert ist, fehlen die finanziellen Anreize. Zudem ist die Anzahl der ausgebildeten Fachkräfte tief. Für einen kommerziellen Einsatz müsste die Verfassung angepasst werden. 

In Bezug auf LTNE-Plasmen sind die Wechselwirkungen zwischen Plasma und biologischen Systemen noch nicht vollständig verstanden. Auch fehlen regulatorische Standards für medizinische Plasmaanwendungen, was die Markteinführung erschwert. Hier braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik. 

Fokus Industrie 

Plasmatechnologien eröffnen der Industrie vielfältige Anwendungsmöglichkeiten: In der Produktion erlauben sie nicht nur den Einsatz nachhaltiger Energie, sondern ermöglichen auch effiziente Oberflächensterilisationen, die besonders in der Lebensmittel-, Medizintechnik- und Verpackungsindustrie von Bedeutung sind. Zudem bieten sie umweltfreundliche und kostengünstige Lösungen für die Produktion von Chemikalien und Medikamenten. In der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie verbessern Plasmatechnologien die Keimfähigkeit von Saatgut und fördern das Pflanzenwachstum. Gleichzeitig verlängern sie die Haltbarkeit von Lebensmitteln durch Oberflächendekontamination und ermöglichen Schädlingsbekämpfung ohne den Einsatz von Pestiziden. Unternehmen, die diese Technologie früh ins Portfolio aufnehmen, können ökologische und wirtschaftliche Vorteile erzielen. 

Plasmatechnologien erfordern hoch spezialisierte Fachkräfte in Bereichen wie Biologie, Chemie, Elektronik, Hochspannungstechnik, Materialwissenschaften, Plasmaphysik und Robotik. Die technischen Hochschulen decken diese Fachgebiete ab, auch wenn die Anzahl der Studienabgänger:innen eher klein ist. Das Arbeitsumfeld ist interdisziplinär; das entsprechende Mindset für die Arbeit in interdisziplinären Teams ist allerdings noch nicht ausgeprägt. Hilfreich sind interdisziplinäre Projekte, um die Kompetenzen zu bündeln. 

Internationale Perspektive 

Mit dem Swiss Plasma Center der EPFL ist die Schweiz international hervorragend positioniert, dank wichtiger technischer Installationen insbesondere im Bereich Fusionsforschung. Trotz des faktischen Ausschlusses aus den europäischen Programmen Horizon Europe und Euratom, der bis Ende 2024 dauerte, unterhält die Schweiz ein Kooperationsabkommen mit dem Forschungsinfrastrukturprojekt ITER, in dem 33 Nationen zusammenarbeiten, um den weltweit grössten magnetischen Fusionsreaktor zu bauen. 

Obschon Forschende von Schweizer Institutionen Teil von internationalen Initiativen wie der European Cooperation in Science and Technology (COST) sind, hinkt die Schweiz im Bereich des LTNE-Plasmas Ländern wie Indien, der Niederlande oder den USA etwas hinterher. Diese setzen bereits stärker auf industrielle Anwendungen, was durch die Förderlandschaft in der Schweiz erschwert wird. 

Zukünftige Anwendungen 

Die weitere Entwicklung von Plasmatechnologien hat grosses Potenzial. So könnte Fusionsenergie aus hochtemperierten und hochenergetischen Gleichgewichtsplasmen langfristig die Energieversorgung sichern und gleichzeitig CO₂-Emissionen reduzieren. 

Die niedertemperierten Nichtgleichgewichtsplasmen eröffnen dank ihrer Eigenschaften zahlreiche neue Möglichkeiten: Die verhältnismässig tiefe Temperatur verhindert thermische Beschädigungen, ermöglicht aber trotzdem wirkungsvolle chemische Reaktionen. Davon profitiert nicht nur die Medizin, sondern auch Bereiche, die bisher von chemie- und energieintensiven Verfahren geprägt waren. In der Landwirtschaft kann das LTNE-Plasma zur Oberflächensterilisation von Saatgut, zur Dekontamination von Böden und zur Produktion von Düngemitteln direkt aus der Luft und Strom genutzt werden. In der Lebensmittelindustrie verbessern LTNE-Plasmen die Qualität von Lebensmitteln durch die Reduktion von Mikroorganismen oder chemischen Rückständen, ohne die Produktqualität zu beeinträchtigen. 

Plasma – der vierte Aggregatszustand der Materie – ist ein möglicher Schlüsselbaustein für eine nachhaltige Zukunft. Plasmatechnologien bergen für verschiedene Industriezweige enormes Potenzial; für Industrie und Gesellschaft ergeben sich daraus vielfältige Chancen. Um diese zu nutzen, sind Investitionen in Forschung, Entwicklung und Ausbildung sowie eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit unerlässlich. Die Unterstützung durch die Politik wird entscheidend sein, um die Schweiz als führenden Standort für Plasmatechnologien zu etablieren und deren Potenzial für eine nachhaltige Zukunft voll auszuschöpfen.

Weiterführende Informationen

A Fasoli. (2023) Essay: Overcoming the obstacles to a magnetic fusion power plant

EUROFusion. The road to fusion energy.  

European Cooperation in Science and Technology (COST). Exploring possibilities for bringing plasma medicine to patients: Introducing PlasTHER

ITER. Fusion energy.  

Bundesamt für Energie BFE. Kernenergie - Aufgaben des BFE

Keywords

Plasma, High-Temperature High-Energy Plasma, Magnetic Fusion, Nuclear Fusion, Low-Temperature Non-Equilibrium Plasma, Plasma Treated Liquids, Plasma Medicine, Plasma Agriculture 

Akademische Akteur:innen

Julian Bachmann (Empa), Gioele Balestra (HTA-FR), Stefano Coda (EPFL), Christoph Ellert (HES-SO Valais-Wallis), Ambrogio Fasoli (EPFL), Ivo Furno (EPFL), Dirk Hegemann (Empa), Stefan Hengsberger (HTA-FR), Laurent Marot (Universität Basel), Stefan Nowak (NET Nowak Energie & Technologie), Paolo Ricci (EPFL), Roland Riek (ETH Zürich), Philipp Rudolf von Rohr (ETH Zürich), Kamil Sedlák (EPFL / PSI), Christian Theiler (EPFL) 

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