Expert:innen: Steffen Maier (Sika)
Kleb- und Dichtstoffe tragen auf vielfältige Weise zur Nachhaltigkeit von Produkten bei. Neue Formulierungen ermöglichen Materialeinsparungen, verlängern die Lebensdauer der Produkte und verbessern die Isolation zum Beispiel in Gebäuden. Auch Recyclingprozesse können vereinfacht werden, wenn passende Klebstoffe eingesetzt werden. Dadurch sinkt der CO2-Fussabdruck insgesamt. Unternehmen und Hochschulen suchen zudem nach biobasierten Ausgangsmaterialien für die Produktion von nachhaltigen Kleb- und Dichtstoffen. Herausforderungen liegen vor allem in der langfristigen Verfügbarkeit geeigneter biobasierter Rohstoffe, ihrer technischen Leistungsfähigkeit sowie in der Zulassung und Normierung der Produkte.
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*Aktualisierte Version des Beitrags von 2023.
Kleb- und Dichtstoffe sind Materialien, die zum dauerhaften Verbinden von unterschiedlichen Materialien oder zum Abdichten verwendet werden. Sie gelten als nachhaltig, wenn sie aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt und umweltfreundlich entsorgt werden können oder biologisch abbaubar sind. Ein gewichtiger Vorteil innovativer Kleb- und Dichtstoffe besteht jedoch darin, dass sie das Endprodukt insgesamt nachhaltiger machen, weil sie im Vergleich mit anderen Fügetechniken wie Nieten, Schrauben oder Schweissen verschiedene Vorteile haben: So wirkt beispielsweise die Kraft bei geklebten Teilen flächig und nicht punktuell, wodurch die verklebten Elemente dünner sein können, was im Endprodukt Rohstoffe, Gewicht und häufig auch Energie spart. Geklebte Verbindungen sind oft dauerhafter und erhöhen dadurch die Lebenszeit der Produkte. Zudem haben Abdichtungen und Klebstoffe eine isolierende Wirkung und tragen so zur Energieeffizienz bei, zum Beispiel in Gebäuden. Alle diese Eigenschaften erhöhen die Nachhaltigkeit und reduzieren den CO2-Fussabdruck der geklebten Produkte.
Weltweit ein sehr bedeutendes Einsatzgebiet von Kleb- und Dichtstoffen ist der Gebäudebereich. Im Fahrzeugbau steigert der Trend zu Leichtbau-Karosserien und der zunehmende Bedarf an Batterien für Elektromobilität die Nachfrage nach innovativen Kleb- und Dichtstoffen. Auch die duroplastischen Verbundwerkstoffe für Windkraft-Rotorblätter werden geklebt. Weitere wichtige Einsatzgebiete sind die Verpackungs-, die Bekleidungs- und die Konsumgüterindustrie. Klebstoffe haben auch einen Einfluss auf die Statik oder Stabilität der verklebten Teile. Durch die Zugabe von Additiven können sie zahlreiche Zusatzfunktionen übernehmen wie Schutz gegen Feuchtigkeit, das Dämpfen von Schwingungen, elektrische oder thermische Leitfähigkeit, UV-Stabilität und andere innovative Funktionen.
Für die industrielle Fertigung bieten Kleb- und Dichtstoffe zahlreiche Vorteile: Sie ermöglichen leichtere und effizientere Konstruktionen beispielsweise für energieeffizientere Leichtfahrzeuge. Die Anwendung der Kleb- und Dichtstoffe ist oft automatisierbar, was die Prozessgeschwindigkeit erhöht. Auch indirekte Erfolge tragen zur Nachhaltigkeit des Gesamtprozesses bei, etwa wenn Klebstoffe bei tieferen Temperaturen verarbeitet werden können und damit energieeffizientere Fertigungsprozesse ermöglichen. Kleb- und Dichtstoffe schützen Bauteile vor Korrosion, da keine Bohrungen notwendig sind. Dies verlängert wiederum die Lebenszeit des Endproduktes.
In der Schweiz treiben Industrie und Hochschulforschung die Entwicklung an. Wichtige Impulse geben auch politische Vorgaben wie das Netto-Null-Ziel bei den Treibhausgasemissionen sowie die Regulierungen in der EU-Chemikalienverordnung REACH, die von der Schweiz mehrheitlich übernommen werden. Kleb- und Dichtstoffe tragen entscheidend zum Übergang in ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell bei. Für die meisten im Bereich Klebstoffe tätigen Schweizer Firmen ist der internationale Marktzugang wichtig, insbesondere der EU-Binnenmarkt. Sowohl in der Forschung als auch in der Wirtschaft wird Internationalität gelebt.
Den grössten Marktanteil haben immer noch konventionelle, petrochemische Kleb- und Dichtstoffe. Der Bereich der biobasierten Klebstoffe, die zumindest teilweise aus erneuerbaren Rohstoffen wie zum Beispiel natürlichen Polymeren auf Holzbasis oder aus Reststoffen aus der Landwirtschaft gefertigt sind, entwickelt sich sehr dynamisch. Die Nutzung biobasierter Rohstoffe als Ausgangsmaterial für Kleb- und Dichtstoffe ist jedoch nicht in jedem Fall nachhaltig. Denn unter Umständen stehen sie in Konkurrenz mit der Lebensmittelproduktion, und der Herstellungsprozess kann energieintensiver sein als bei fossilen Quellen. Zudem genügen biobasierte Rohstoffe aufgrund ihrer Eigenschaften, manchmal begrenzter Verfügbarkeit und natürlicher Qualitätsschwankungen in den seltensten Fällen als vollständiger Ersatz für alle Einsatzgebiete von konventionellen Kleb- und Dichtstoffen.
Entscheidend für die Erreichung der Netto-Null-Ziele ist ein günstiger CO2-Fussabdruck des Endprodukts über den ganzen Lebenszyklus hinweg. Um den Beitrag an die CO2-Bilanz zu quantifizieren, favorisiert die chemische Industrie das Instrument der Massenbilanz. Dabei werden in einem freiwilligen Zertifizierungssystem wie beispielsweise ISCC Plus (ISCC = International Sustainability and Carbon Certification) alle Substanzen, die einem chemischen Fertigungsprozess zugeführt, darin umgewandelt und wieder abgeführt werden, minutiös erfasst und ihre CO2-Bilanz anteilig dem Endprodukt zugeschrieben. Der Vorteil ist, dass dadurch fossile und biobasierte (oder rezyklierte) Rohstoffe in den gleichen Produktionsprozess einfliessen können, ohne dass für die beiden Stränge je eigene Produktionsanlagen oder zusätzliche Zulassungsbewilligungen erforderlich sind.
Eine weitere Herausforderung an nachhaltige Kleb- und Dichtstoffe ist die Rezyklierbarkeit der Produkte am Ende ihres Lebenszyklus. Damit Klebstoffe den Recyclingprozess nicht behindern, ist es oft vorteilhaft, wenn sie von den verklebten Teilen rückstandslos lösbar sind. Ein in dieser Hinsicht oft diskutierter technologischer Trend ist: Debonding on Demand. Dabei muss die Klebkraft während der gesamten Lebensdauer des Produkts zuverlässig sein, doch am Ende des Lebenszyklus sollen sich die Bauteile als Reaktion auf einen Stimulus wie Induktion, Strom oder Temperaturänderung voneinander lösen. Vorstellbar ist auch, dass Klebstoffe aus dem gleichen Basismaterial hergestellt werden wie das zu verklebende Produkt, was Monomaterial Design genannt wird. Fürs Recycling fällt dann ein sortenreines Material an.
Der Druck der Regulierungsbehörden, bewährte Rohstoffe restriktiver zu regulieren oder zu verbieten, wird weiter steigen. So hat die EU 2023 die Verwendung von Isocyanate, die eine Härtung der Klebstoffe und Dichtungen ermöglichen, eingeschränkt. Dies hat Umstellungen und Mehrkosten im Produktionsprozess zur Folge. KMU können diese Ausgaben fast nicht mehr stemmen und sind von den steigenden Anforderungen und der Komplexität der Zulassung stark gefordert.
Nachhaltige Kleb- und Dichtstoffe spielen im Einkauf der Grundchemikalien, in der Produktion sowie im Marketing eine wichtige Rolle. Zukünftig werden nicht nur die Rohstoffe, sondern auch die CO2-Bilanz der ganzen Wertschöpfungskette, die Produktkosten bestimmen. Firmen, die sich früh mit der Thematik auseinandersetzen und die entsprechenden Daten liefern können, zum Beispiel mithilfe einer zertifizierten Massenbilanz, werden einen klaren Geschäftsvorteil haben.
Fachkräfte im Bereich von nachhaltigen Kleb- und Dichtstoffen benötigen Kenntnisse über die Chemie der Kunststoffe mit einem Spezialwissen über Klebeprozesse. Entwickler:innen sollten die Anforderungen an Klebstoffe von Kundenseite gut kennen und fähig sein, Mehrwerte für die Kund:innen zu schaffen. Die Aus- und Weiterbildung findet hauptsächlich in den Unternehmen selbst statt. Während bei den Chemiker:innen mit Hochschulabschluss kein Fachkräftemangel droht, ist die Rekrutierung von genügend Chemielaborant:innen nach wie vor ein Problem.
Die EU steht an der Spitze des globalen Marktes für nachhaltige Klebstoffe. In der Schweiz gibt es sowohl in der Forschung wie auch bei den Unternehmen einige Akteur:innen, die für die Entwicklung neuer Kleb- und Dichtstoffe eine bedeutende Rolle spielen. Gerade in einem Land wie der Schweiz ist es entscheidend, dass Firmen innovative und technisch hoch entwickelte Produkte anbieten können, um die hohen Material- und Arbeitskosten über gute Margen zu kompensieren. Es ist wenig aussichtsreich, Mitbewerbende aus Osteuropa oder Ostasien nur über einen günstigeren Preis zu schlagen.
Dank neuartiger Klebstoffe werden in Zukunft vermehrt Fügeverfahren wie Nieten, Schweissen oder Schrauben durch Kleben ersetzt. Mittlerweile gibt es über 250'000 Klebstoff-Formulierungen und es werden laufend mehr. Neue Entwicklungen ermöglichen die Verbindung einer immer grösseren Vielfalt von Materialien, was auch deren Anwendungsfelder erweitert. Schweizer Firmen sind gut aufgestellt, diese Chancen wahrzunehmen: Sie sind führend auf dem Gebiet und verfügen über etablierte Kooperationen mit Hochschulen sowie eine moderne Infrastruktur und Rechtssicherheit.
Nachhaltige Kleb- und Dichtstoffe spielen eine wichtige Rolle in der Kreislaufwirtschaft und beim Erreichen des Netto-Null-Ziels. Sie tragen zur Energieeffizienz und Langlebigkeit von Produkten bei – etwa in der Gebäudetechnik oder im Leichtbau. Neue Entwicklungen in der Forschung zielen zudem auf recyclefähige, biobasierte oder reversible Klebstoffsysteme ab, die sich zum Beispiel durch Hitze oder Strom wieder lösen lassen. So unterstützen Kleb- und Dichtstoffe zunehmend auch Konzepte der Kreislaufwirtschaft und ressourcenschonende Produktionsweisen.
B Mayer, A Gross. (2020) Kreislaufwirtschaft und Klebtechnik. Studie des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM, Bremen.
FKS. Fachverband Klebstoff-Industrie Schweiz.
International Sustainability and Carbon Certification ISCC. Towards a more sustainable world.
Klebstoffe, Dichtstoffe, Adhesives and Sealants, Adhesion, Bonding, Glue
Christof Brändli (ZHAW), Ingo Burgert (ETH Zürich), Karsten Frick (FHNW), Martin Lehmann (BFH)
Alfa Klebstoffe, APM Technica, Artimelt, Astortec, Avery Dennison, Collano, Dätwyler, DuPont, Ems-Chemie, Gyso, H.B. Fuller Europe, Henkel, Jowat Klebstoffe, KDT Klebetechnik, Kisling, Merz + Benteli, Pontacol, Sika, Uzin Utz Schweiz, Wakol Adhesa