Künstliche Photosynthese

Expert:innen: Artur Braun (Empa), Kevin Sivula (EPFL)

Die künstliche Photosynthese nutzt die Sonnenenergie zur Produktion von Wasserstoff, synthetischen Energieträgern und anderen hochwertigen Chemikalien aus Wasser und Kohlendioxid. Langfristig könnte die Technologie dazu beitragen, erneuerbare Energien effizient zu speichern und klimafreundliche Treibstoffe herzustellen. Während die Schweiz für eine kommerzielle Anwendung im grosstechnischen Massstab aufgrund des hohen Flächenbedarfs und vergleichsweise niedrigen Sonnenbestrahlung eher ungeeignet ist, könnte das Land als Innovationsstandort wichtige Beiträge zur Grundlagenforschung und Entwicklung von Verfahren und Materialien leisten.

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*Aktualisierte Version des Beitrags von 2023

Definition

Verfahren, die Sonnenlicht nutzen, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten oder Kohlenwasserstoffe herzustellen, werden als künstliche Photosynthese bezeichnet. Diese imitiert die natürliche Photosynthese, bei der Pflanzen mit Lichtenergie aus Wasser und Kohlendioxid (CO2) energiereiche Zuckerverbindungen herstellen. Analog dazu wandeln Verfahren der künstlichen Photosynthese die in Solarzellen erzeugte elektrische Energie in Produkte wie Wasserstoff, Methan, Methanol, Ammoniak oder auch komplexere Substanzen um. Dabei kommen photoelektrochemische Zellen und photokatalytische Verfahren zum Einsatz. Für die Umwandlung in die gewünschten Zielprodukte werden metallische oder molekulare Katalysatoren eingesetzt. 

Dabei lassen sich hauptsächlich drei Ansätze unterscheiden. In mehrstufigen Verfahren sind die Lichtabsorption, die primäre Ladungstrennung und die stoffliche Umsetzung räumlich getrennt. In einstufigen Ansätzen werden diese Einzelschritte integriert, beispielsweise in «künstlichen Blättern», in denen die für die Wertstofferzeugung erforderlichen spezifischen Photokatalysatoren direkt auf einer Solarzelle aufgebracht sind. Ein dritter Ansatz ist die biotechnologische Route, in der alle photosynthetischen Teilschritte in lebenden Mikroorganismen stattfinden, etwa in gentechnisch modifizierten Algen oder Cyanobakterien.  

Heutige Anwendungen und Chancen

Mehrstufige Systeme, die Photovoltaikzellen mit einem Elektrolyseur zur Wasserstofferzeugung verbinden, sind bereits in Betrieb. Allerdings ist der so erzeugte Wasserstoff immer noch teurer als bei herkömmlichen Verfahren, die auf fossilen Ausgangsstoffen basieren. Daher konnte sich die Technologie bisher noch nicht durchsetzen. 

Integrierte Verfahren sind bisher hauptsächlich im Labormassstab verwirklicht worden. Das in Lausanne ansässige EPFL-Start-up SoHHytec hat 2023 ein Pilotprojekt auf eine Demonstrationsanlage hochskaliert, in der die Sonnenenergie in einem Parabolspiegel gebündelt und diese mit integrierten photoelektrochemischen Zellen direkt für die Produktion von Wasserstoff genutzt wird. Als Nebenprodukte fallen Sauerstoff und Wärme an. Während der Sauerstoff in medizinischen Anwendungen verwertet wird, kann die Wärme für eine Raumheizung genutzt werden. 2024 ist das Unternehmen eine Kollaboration mit dem indischen Anlagenbauer TKIL Industries eingegangen, um die Produktion von grünem Wasserstoff in Indien zu fördern. 

Mit Sonnenenergie produzierter Wasserstoff kann einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Energieversorgung leisten, sei dies als Treibstoff in der Mobilität und in Wärmenetzen oder als langfristiger Energiespeicher.  

Neben Wasserstoff können mit künstlicher Photosynthese auch weitere kohlenstoffhaltige Chemikalien und Brennstoffe hergestellt werden wie zum Beispiel Synthesegas, Ameisensäure, Methanol, Methan, Formaldehyd, Ethen und Ethanol. Die Technologie deckt damit ein breites Spektrum an Möglichkeiten für die chemische Industrie ab. 

Alle Verfahren benötigen nur Sonnenenergie sowie Wasser und CO2 als Ausgangsstoffe. Damit stehen sie im Gegensatz zu anderen Herstellungsverfahren von Biotreibstoffen in keinem Zielkonflikt mit der Nahrungsmittelproduktion und anderen Biomassenutzungen. 

Die Anwendung von Wasserstoff wird von privaten Initiativen wie dem Förderverein H2 Mobilität Schweiz vorangetrieben. Verbesserungsbedarf besteht bei der Skalierung der Pilotprojekte aus der Grundlagenforschung in die Anwendungen; Innosuisse könnte ein Gefäss für solche Projekte sein. Aus dem universitären Forschungsschwerpunkt Künstliche Photosynthese der Universität Zürich (Laufzeit: 2013–2024) ist ein interdisziplinäres Netzwerk von Akteur:innen entstanden, das die Entwicklung eines marktreifen Reaktors unter Berücksichtigung aller relevanten ökologischen und ökonomischen Aspekte anstrebt.  

Herausforderungen

Eine grosse Herausforderung ist die Solar-to-Product-Effizienz, also das Verhältnis der im Produkt gespeicherten chemischen Energie zur eingespiesenen Solarenergie. Bei der natürlichen Photosynthese wird nur etwa 1 Prozent der aufgenommenen Sonnenenergie in den resultierenden Zuckerverbindungen als chemische Energie gespeichert. Je nach Verfahren und Produkt können bei der künstlichen Photosynthese Solar-to-Product-Effizienzen von 15 bis 20 Prozent erreicht werden. Aufgrund der Fortschritte in der Entwicklung der eingesetzten Materialien und Prozesse sind weitere Steigerungen der Werte zu erwarten. Die Demonstrationsanlage der Firma SoHHytec in Lausanne erreicht gemäss eigenen Angaben eine Solar-to-Hydrogen-Effizienz von 25 Prozent. 

Eine zentrale Herausforderung ist die Entwicklung von stabilen und effizienten photochemischen Katalysatoren, deren strukturelle, optische und elektronische Eigenschaften optimal für das jeweilige Produkt angepasst sind. 

Neben der Solar-to-Product-Effizienz des gesamten Prozesses limitiert vor allem die Fläche, die für die Solarzellen erforderlich ist, die Wirtschaftlichkeit solcher Anlagen. Da die Sonnenstunden in der Schweiz tief sind und der Flächenbedarf entsprechend höher ist, setzen Energieunternehmen vermehrt auf grosse Anlagen im Sonnengürtel der Erde, wo erstens grössere Flächen ohne Nutzungskonflikte zur Verfügung stehen und zweitens die Einstrahlungsintensität höher ist.  

Fokus Industrie

Der Nutzen für die Schweizer Betriebe ist derzeit gering, da die Technologie noch in den Kinderschuhen steckt. Gemäss einer vom deutschen Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) im Jahr 2022 veröffentlichten Technologiebewertung erreichen diese Verfahren bisher erst einen Technologiereifegrad von 3 bis 4 auf einer Skala von 1 bis 10. Das bedeutet, dass die Verfahren erst im Labor als Proof-of-Concept oder in erweiterten Demonstrationsanlagen validiert wurden.  

Falls die Herausforderungen in der Forschung und Entwicklung der künstlichen Photosynthese gemeistert werden, können Start-ups und KMU im Bereich erneuerbarer Energietechnologien eine Vorreiterrolle übernehmen und entsprechend einen Wettbewerbsvorteil im Cleantech-Bereich erlangen.  

Internationale Perspektive

Die in dem Bereich tätigen Forschungsgruppen in der Schweiz sind national und international sehr gut vernetzt und betreiben qualitativ hochstehende Forschung. Der Löwenanteil von Forschung und Entwicklung – gemessen an der Anzahl Publikationen – findet jedoch in den USA, Japan, China und auch Südkorea statt. Auch der grösste Anteil an Innovationen – gemessen an der Anzahl Patente – kommt aus den USA und aus dem asiatischen Raum. In Europa werden Forschung und Entwicklung von Prototypen im Rahmen von Horizon Europe gefördert, unter anderem mit den Konsortien Sunergy und Solar2Chem. 

Zukünftige Anwendungen

Mit künstlicher Photosynthese hergestellter Wasserstoff kann einerseits gespeichert oder in Brennstoffzellen oder Gasturbinen verwendet werden, um elektrischen Strom zu erzeugen oder wasserstoffbetriebene Fahrzeuge anzutreiben (siehe Wasserstoff). Auch kann der Wasserstoff als chemischer Rohstoff für die industrielle Produktion von Grundchemikalien wie zum Beispiel Ammoniak verwendet werden. Mithilfe etablierter Technologien können aus Wasserstoff und CO2 aus der Atmosphäre oder aus industriellen Abgasen CO2-neutrale Brenn- und Treibstoffe hergestellt werden. So kann die künstliche Photosynthese längerfristig dazu beitragen, Wasserstoff und weitere synthetische Energieträger als wichtige Grundlage für eine nachhaltige Energiewirtschaft zu etablieren und diverse Anwendungen in Verkehr und Industrie zu dekarbonisieren. 

Um dieses Potenzial durch eine wettbewerbsfähige Anwendung der künstlichen Photosynthese zu realisieren, müssen allerdings noch signifikante Verbesserungen einerseits bei den Prozessen selbst, aber auch in den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erreicht werden. Gelingt dies, stellt die künstliche Photosynthese eine Alternative dar, um einen nennenswerten Beitrag zur Energie- und Rohstoffwende zu leisten.

Weiterführende Informationen

Sunergy. Unlocking the renewable energy future

Solar2Chem. SOLAR2CHEM Project

Keywords

Artificial Photosynthesis, Solar Fuels, Photoelectrochemical Water Splitting, Hydrogen, Energy Storage, Photocatalysis 

Akademische Akteur:innen

Edwin Constable (Universität Basel), Michael Grätzel (EPFL), Sophia Haussener (EPFL), Greta Patzke (Universität Zürich) 

Firmen

Alpiq, H2 Energy, Hyundai Hydrogen Mobility, Hydrospider, Linde, SoHHytech