Erdbeobachtung

Expert:innen: Claudia Röösli (Universität Zürich)

Fortschrittliche Erdbeobachtungstechnologien, insbesondere Satelliten- und Drohnensysteme, erheben umfassende Daten über die Umwelt, überwachen Naturgefahren und erlauben vertiefte Analysen und Prognosen in vielfältigen Anwendungsgebieten. Durch die kontinuierliche Beobachtung können Veränderungen frühzeitig erkannt und entsprechende Massnahmen ergriffen werden. Die Erdbeobachtung ermöglicht datenbasierte Dienstleistungen in Bereichen wie Präzisionslandwirtschaft, Infrastrukturplanung oder Ressourcen- und Risikomanagement. Für Schweizer Unternehmen – besonders Start-ups und KMU – bietet die Erdbeobachtung neue Geschäftsmodelle, die jedoch noch zu wenig genutzt werden.

Bild: Carl Wang, Unsplash

Definition

Unter Erdbeobachtung versteht man die systematische Erfassung von Informationen über die Erdoberfläche und Atmosphäre mithilfe von Satelliten, Drohnen, Flugzeugen und anderen Fernerkundungssystemen. Der vorliegende Text fokussiert auf die Technologie der Satelliten. Diese sind mit verschiedenen Sensoren und Messgeräten ausgerüstet wie zum Beispiel optischen Sensoren, Radaren, Infrarotkameras, Lidar-Systemen, Spektralscanner oder Wärmebildgeräten. Je nach Sensor können damit Höhenprofile, Vegetationsdaten, Luftqualität, Temperaturwerte und Parameter wie Schneemengen oder Bodenfeuchte erhoben, ausgewertet und abgeleitet werden. So entstehen Bilder, Karten und Modelle, aus denen datenbasierte Aussagen zum Zustand der Erde gemacht und Vorhersagen getroffen werden können. Die Daten werden regelmässig erhoben und sind als langfristige Datenreihen auch für Langzeitüberwachungen geeignet. 

Die Technologie umfasst den Bau und Betrieb von Satelliten und Fernerkundungssystemen, aber auch die Datenauswertung und die Entwicklung von damit verbundenen Dienstleistungen, die von Anwender:innen aus der Forschung, von Behörden und von kommerziellen Unternehmen genutzt werden können. Mithilfe der Erdbeobachtung können Umweltveränderungen kontinuierlich verfolgt und natürliche Ressourcen gezielter genutzt werden. Auch für politische und wirtschaftliche Entscheidungen liefern die Daten eine wichtige Grundlage. 

Heutige Anwendungen und Chancen

Die Erdbeobachtung dient in der Präzisionslandwirtschaft der Steuerung von Bewässerung und Düngung von Pflanzen. Sie dokumentiert den Gletscherschwund und dient der Erstellung von Karten zur Naturgefahrenprävention. 

Ein zentraler Pfeiler der Datenerhebung ist das EU-Programm Copernicus. Derzeit nutzt das Programm die Daten mehrerer Sentinel-Satelliten, die mit Radaren oder optischen und thermischen Sensoren ausgerüstet sind. Zusätzlich werden Daten von weiteren 30 kommerziellen und staatlichen Satelliten ausgewertet. Zahlreiche geobasierte boden-, see- und luftgestützte Messgeräte ergänzen die Satellitendaten, zum Beispiel fest installierte Wetterstationen, Meeresbojen und Luftmessgeräte. Copernicus stellt täglich Daten im Umfang von 12 Terabyte zur Verfügung und ist damit der weltgrösste Anbieter von Erdbeobachtungsdaten. Diese werden in den sechs Kerndiensten Landüberwachung, Meeresumwelt, Atmosphäre, Klimawandel, Sicherheit sowie Katastrophen- und Krisenmanagement themenspezifisch gesammelt und ausgewertet. Der Zugang zu den Daten und Dienstleistungen wird allen Nutzer:innen weltweit mehrheitlich kostenlos zur freien Verfügung gestellt.  

Auch Schweizer Forschungsgruppen nutzen Daten von Erdbeobachtungssatelliten. So betreibt die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), die Teil des ETH-Bereichs ist, mit Radardaten des Sentinel-1-Satelliten ein grossflächiges Waldmonitoring zur Erfassung von Störungen wie Sturmschäden. Das zum WSL zugehörige Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) nutzt optische Daten des SPOT6-Satelliten zur Analyse der Lawinensituation. Und mehrere Gebirgskantone erfassen und analysieren mithilfe von hochaufgelösten Satellitendaten unterschiedlichen Ursprungs Massenbewegungen an Hanglagen. 

Die Erdbeobachtung stellt den Nutzer:innen globale, standardisierte Daten über den Zustand der Erde in hoher Qualität zur Verfügung. Für die Umwelt- und Klimabeobachtung generieren Satelliten und Fernerkundungssysteme unabhängige und objektive Fakten, die Massnahmen gegen die Klimawandelfolgen ermöglichen oder erleichtern. Auch die Wirtschaft kann die Daten verwenden, um neue Dienstleistungen in verschiedenen Bereichen anzubieten, zum Beispiel in der Landwirtschaft für Ertragsprognosen, in der Siedlungsplanung für das Monitoring der Bodenversiegelung oder im Versicherungs- und Bankenwesen für präzisere Risikoanalysen von Naturereignissen. 

Mittlerweile tragen sowohl Anbieter:innen als auch Nutzer:innen der Daten zur Weiterentwicklung bei. In der Schweiz sind vor allem Hochschulen und Forschungsinstitute stark involviert, während bei der Kommerzialisierung der Daten und Analysen im Vergleich zu Ländern wie den USA, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland ein Nachholbedarf herrscht.  

Herausforderungen

Satelliten und Sensoren erzeugen immer mehr Datenmengen. Um relevante Informationen herauszufiltern, sind leistungsfähige IT-Infrastrukturen, Algorithmen und Fachwissen erforderlich. Erdbeobachtungsdaten stammen aus unterschiedlichen Quellen wie optische multispektrale Daten, Radar oder Lidar und sind oft mehrdimensional. Um diese korrekt zu interpretieren, braucht es ein spezialisiertes Wissen im Bereich der Datenanalyse. Aufbau, Betrieb und Unterhalt von Satelliten, Bodenstationen und Analysetools sind zudem teuer. 

Die Schweiz ist derzeit nicht Mitglied des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus. Deshalb können Schweizer Institutionen und Unternehmen nur eingeschränkt von den Möglichkeiten von Copernicus profitieren oder bei der Entwicklung mitarbeiten. Die auf internationale Kooperationen angewiesene Schweizer Forschungslandschaft ist dadurch benachteiligt. Ebenfalls ist die Schweiz von der Start-up-Förderung durch Copernicus und der Entwicklung der Produkteplattformen ausgeschlossen.  

Obwohl das Parlament im Jahr 2023 einer Teilnahme zugestimmt hatte, hat der Bundesrat entschieden, bis Ende 2027 aus Kostengründen auf eine Beteiligung zu verzichten. Nutzer:innen von Erdbeobachtungsdaten aus Wissenschaft und Industrie streben jedoch eine Wiederbeteiligung ab 2028 an, mit der Begründung, dass nur mit einer aktiven Teilnahme das wissenschaftliche und kommerzielle Potenzial von der Copernicus-Daten ausgeschöpft werden könne. 

Viele Entscheidungsträger:innen wissen noch zu wenig über die Möglichkeiten der Erdbeobachtung und sehen den Mehrwert der Dienstleistungen nicht. Eine gezielte Förderung von Start-ups und KMU in dem Bereich würde einer wertschöpfenden Kommerzialisierung der herausragenden Datenbasis mehr Schub verleihen.  

Fokus Industrie

Die Erdbeobachtung hat für die Industrie vor allem in der Produktion sowie bei den Dienstleistungen grosse Bedeutung. Rund 30 Schweizer Unternehmen sind am Bau von Satelliten, Messgeräten, Sensoren und weiteren für die Erdbeobachtung wichtigen Komponenten beteiligt. Das Marktpotenzial im Bereich der Dienstleistungen, die mit den gewonnenen Daten erbracht werden können, wird in der Schweiz noch zu wenig ausgeschöpft.  

Für die Hardware-Entwicklung benötigen Fachkräfte umfangreiches Wissen in Physik, Maschinenbau, Elektrotechnik sowie gründliche Softwarekenntnisse. Letztere sind auch im Bereich der Dienstleistungen erforderlich, begleitet von fundierten Kenntnissen in Programmieren, Big-Data-Analyse und Geoinformation. Derzeit gibt es ausreichend Absolvent:innen mit den entsprechenden Fähigkeiten in der Schweiz. Gut ausgebildete Fachkräfte weichen sogar vermehrt ins Ausland aus, weil es in der Schweiz zu wenige Firmen gibt, die das entsprechende Know-how nutzen wollen.  

Internationale Perspektive

Die technologischen Vorreiter der Erdbeobachtung sind die USA mit dem Satellitensystem Landsat und Europa mit den Sentinel-Satelliten von Copernicus. In Europa werden die Daten auf Länderebene intensiv genutzt. Länder wie Japan, China und Kanada holen ebenfalls auf und setzen gezielt Schwerpunkte. Die Schweiz ist vor allem in der Entwicklung und Forschung sehr stark und dazu prädestiniert, eine Vorreiterrolle zu spielen. Forschungsgruppen bei Agroscope, WSL und SLF sowie an der ETH Zürich, der EPFL und an den Universitäten Zürich, Basel und Bern betreiben heute schon relevante Forschung und sind punktuell auch in europäischen Gemeinschaftsprojekten gut vernetzt. 

Zukünftige Anwendungen

Künftig soll mithilfe von Geolokalisationsdaten von Satelliten die neue EU-Regulation über entwaldungsfreie Lieferketten kontrolliert werden. Diese tritt 2025 in Kraft und untersagt den Handel mit Rohstoffen wie Holz, Kaffee, Kakao, Kautschuk, Palmöl, Rindfleisch und Soja aus Gebieten, die nach 2020 gerodet worden sind. 

Damit wird die Erdbeobachtung zu einem zentralen Werkzeug für eine überprüfbare und glaubwürdige Lieferkette.  

Neue Anwendungen werden zudem aus den Fortschritten bei den Methoden der künstlichen Intelligenz erwartet, welche die zielgerichtete Durchforstung der ungeheuren Datenmengen auf relevante Informationen erleichtern und beschleunigen können.  

Die Technologie der Erdbeobachtung wird heute in vielen Bereichen der Forschung und der Wirtschaft eingesetzt. Die Zukunft liegt in der Kombination von offenen Daten, smarter Technologie und konkretem Nutzen für Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft. Die Schweiz ist vor allem im Bereich der Geodaten stark, doch im Bereich der Satelliten-Daten gibt es nur wenige Start-ups, die diese wertschöpfend anwenden. Spezifische Förderlinien, die den Wissenstransfer von den Forschungsgruppen zu den Unternehmen unterstützen sowie eine Beteiligung am EU-Programm Copernicus könnten dem entgegenwirken.

Weiterführende Informationen

C Persello, JD Wegner, R Hansch, D Tuia, P Ghamisi, M Koeva, G Camps-Valls. (2022) Deep learning and earth observation to support the sustainable development goals: Current approaches, open challenges, and future opportunities

Q Zhao, L Yu, Z Du, D Peng, P Hao, Y Zhang, P Gong. (2022) An overview of the applications of earth observation satellite data: impacts and future trends.  

SL Ustin, EM Middleton. (2021) Current and near-term advances in Earth observation for ecological applications.  

Bundesamt für Landestopografie swisstopo. swissEO

Copernicus. Europe's eye on Earth.  

Swiss National Point of Contact for Satellite Images. Willkommen beim NPOC

World Glacier Monitoring Service. Welcome.  

Keywords

Satellites, Earth Observation, Copernicus, Sentinel Satellites, Remote Sensing 

Akademische Akteur:innen

Helge Aasen (Agroscope), Dominik Brunner (Empa), Yves Bühler (SLF) Helmut Bürgmann (Eawag), Christian Ginzler (WSL), Adrien Gressin (HEIG-VD), Irena Hajnsek (ETH Zürich), Anthony Lehmann (Université de Genève), Olivia Martius (Universität Bern), Kathrin Nägeli (Universität Zürich), Géraldine Pflieger (Université de Genève), Gabriele Roder (ETH Zürich), Claudia Röösli (Universität Zürich), Matthias Röthlisberger (ETH Zürich), Dante Salvini (FHNW), Michael Schaepman (Universität Zürich), Gabriela Schaepman-Strub (Universität Zürich), Konrad Schindler (ETH Zürich), Bernhard Schmid (Universität Zürich), Benedikt Soja (ETH Zürich), Devis Tuia (EPFL), Oliver Ullrich (Universität Zürich Space Hub), Jan Dirk Wegner (Universität Zürich), Andreas Wieser (ETH Zürich), Andreas Zischg (Universität Bern) 

Firmen

Agricircle, APCO, ArcPower, AskEarth, Beyond Gravity, Destinus, Diamond Fiber Optics, dlab, Exolabs, Fixposition, Gamma Remote Sensing, Klepsydra Technologies, Koegl Space, Lentiltec, Meteomatics, MICOS, Miraex, NematX, Picterra, RADEC, Saphyrion, Sarmap, Solenix, Spacelab, Syderal Swiss, Technologies, Terranum, Thales Alenia Space Schweiz, ViaSat