Expert:innen: Karen Scrivener (EPFL), Christian Wengi (Logbau)
Die Zement- und Betonindustrie ist verantwortlich für rund 8 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen. Entsprechend gross sind Notwendigkeit und Potenzial, um die Dekarbonisierung im Schweizer Bausektor voranzutreiben.
BIld: Uve Sanchez, Unsplash
* Aktualisierte Version des Beitrags von 2023.
Ohne Beton kommt kaum ein Neubau aus. Ob Strasse, Staumauer oder Brücke – Beton ist das gewichtsmässig meistverarbeitete Material der Welt. Im Herstellungsprozess entsteht eine grosse Menge an Treibhausgasemissionen.
Rund 60 Prozent der Emissionen entstehen als Nebenprodukt der chemischen Reaktion, wenn aus Kalkstein und weiteren Zutaten Zement, dem Hauptbestandteil von Beton, gebrannt wird. Die übrigen 40 Prozent der Treibhausgase entstehen aus der Energiegewinnung für den Betrieb der Hochöfen: Die Umwandlung von Kalkstein zu Zement erfordert Temperaturen von über 1400 Grad Celsius, für den Betrieb der Mahlwerke und den Transport des fertigen Zements. Insgesamt verursacht die Zement- und Betonindustrie 8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen – das ist rund dreimal so viel wie der internationale Flugverkehr.
Angesichts dieser Zahlen ist klar: Die Betonindustrie muss ihre Treibhausgasemissionen senken. Die Schweizer Zement- und Betonindustrie hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Verschiedene Akteur:innen arbeiten mit unterschiedlichen Ansätzen an der Umsetzung.
Ein naheliegender Weg zur Minderung des CO2-Ausstosses bei der Herstellung von Beton besteht darin, dessen Zusammensetzung durch Zugabe von weiteren Materialien so zu ändern, dass der Beton weniger Zement enthält. Damit fällt in der Produktion weniger CO2 an. In Ländern mit grosser Stahl- oder Kohleindustrie wird dieser Weg bereits seit Jahren beschritten: Schlacke oder Flugasche werden dem Beton beigemischt, auch wenn diese in jüngster Zeit vielerorts knapp werden.
Ein alternativer Ansatz verfolgt Zindel United: Das Unternehmen mischt dem Beton Klark Pflanzenkohle bei. Der in Pflanzen gebundene Kohlenstoff wird damit im Beton eingelagert und kann so nicht als CO2 in die Atmosphäre entweichen. In der Gesamtbilanz sinken die Nettoemissionen deutlich, da der Beton als Speicher für den in der Pflanzenkohle gebundenen Kohlenstoff fungiert und die Pflanzenkohle gleichsam als im Beton verbaute Negativemissionstechnologie dient.
An der EPFL wird ein Zement entwickelt, der nochmals anders funktioniert. Dieser LC3 genannte Zement, wobei LC3 für Limestone Calcined Clay Cement steht, reduziert die Treibhausgasbelastung von Beton um bis zu 40 Prozent. Statt wie herkömmlicher Zement zu 95 Prozent aus Klinker und 5 Prozent aus Gips zu bestehen, setzt LC3 auf ein Gemisch von 50 Prozent Klinker, 30 Prozent kalziniertem Ton, 15 Prozent Kalkstein und 5 Prozent Gips. Die Erfahrungen mit diesem Werkstoff zeigen, dass LC3 ähnliche Eigenschaften in der Festigkeit und Stabilität erreicht wie herkömmlicher Portlandzement.
Ein weiterer Hebel bietet das Betonabbruchmaterial. Der Beton wird am Ende seines Produktlebenszyklus auf Deponien eingelagert. Inzwischen gibt es jedoch Forschung, die herauszufinden versucht, ob und inwiefern zerkleinerter Abbruchbeton als Kiesersatz im Beton wiederverwendet werden kann. Ein anderer Ansatz reichert gemahlenen Beton wiederum mit CO2 an, sodass dieser zu einem kalksteinähnlichen Rohstoff wird. Dieses Material könnte dann neuen Materialien beigemischt oder als Füllstoff, zum Beispiel in der Kunstharzindustrie, verwendet werden.
Die Bauindustrie ist zurückhaltend. Das heisst, neue Produkte wie CO2-speichernder Beton werden zögerlich aufgenommen. Solange die geltenden Normen den Einsatz nicht fordern, ist vonseiten der Industrie kaum mit einem breiten Durchbruch zu rechnen.
Mit entsprechenden Normen und Gesetzen sowie der Forderung, dass bestimmte Mengen an CO2 eingelagert werden, könnte sich die Schweiz als Pionierin etablieren. Sobald gezeigt werden kann, dass sich solcher Beton auch wirtschaftlich lohnt, etwa durch Verteuerung der CO2-Lenkungsabgaben, werden sich solche Verfahren und Produkte von allein durchsetzen. Noch aber liegt ein weiter Weg vor der Branche mit grossen Aufgaben in Forschung, Entwicklung und Zertifizierung.
Eine nachhaltigere Gestaltung des Bauwesens kann nicht mit einer einzigen Massnahme erreicht werden. Umnutzungen und Rennovationen sind, wenn nicht unbedingt günstiger, so am Ende doch meist deutlich ökologischer als Neubauten.
Materialien spielen für eine ökologischere Bauindustrie eine Schlüsselrolle. Dafür sind alle Akteur:innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Bauindustrie gefordert: Es braucht ein Umdenken, sowohl aufseiten der Immobilienentwickler:innen, der Architekt:innen bis hin zu den Bauunternehmen, die am Ende die Werkstoffe einkaufen und die Gebäude bauen.
Nachhaltigere Produkte sind derzeit oft teurer. Selbst Mehrkosten von lediglich 2 Prozent bei CO2-reduziertem Beton können abschreckend wirken, vor allem wenn Erfahrungswerte fehlen und keine Standards für Planung und Ausführung etabliert sind.
Deshalb braucht es Regeln, die Ziele vorgeben und nicht bestimmte Produkte oder Lösungen vorschreiben. Solche Gesetze würden die Baubranche dazu animieren, nach weiteren, kostengünstigen und innovativen Lösungen zu suchen – und zugleich schaffen sie die Rechts- und damit Planungssicherheit für alle Beteiligten.
Die Schweiz gehört international zu den führenden Ländern bei der Entwicklung und Kommerzialisierung von CO2-reduziertem Beton. EPFL und ETH Zürich sowie die Schweizer Fachhochschulen verfügen über reichlich theoretisches und praktisches Wissen. Mit den beiden in der Bauchemie führenden Unternehmen Holcim und Sika gibt es in der Schweiz ein breites Spektrum an theoretischem und praktischem Wissen im Feld des CO2-reduzierten Betons. Gleichzeitig gestaltet sich die internationale Kommerzialisierung komplizierter als in anderen Branchen, da Praktiken im Bauwesen sehr stark von lokalen Gewohnheiten und Vorgaben bestimmt werden.
In Zukunft könnten auch andere Materialien Zement ersetzen. Empa-Forschende untersuchen etwa Magnesiumsilikate. Daraus wird Magnesiumoxid gewonnen, dieses wird in der Produktion des Zements mit Wasser und CO2 angereichert. Dadurch nimmt das Material aktiv CO2 auf und speichert dieses. Solche zementähnlichen Baustoffe bergen die Herausforderung, dass die meisten weniger alkalisch sind als Zement und so Stahl schlechter vor Korrosion schützen als Beton.
Die Emissionen aus dem Brennvorgang sind, solange Zement verwendet wird, unvermeidbar. Damit diese nicht direkt in die Atmosphäre gelangen und dort ihre klimaschädliche Wirkung entfalten, kann das frei werdende CO2 aus den Abgasen abgeschieden, eingelagert oder für andere Industrieprozesse genutzt werden (Negativemissionstechnologien).
Sollte der Bausektor seinen CO2-Ausstoss senken können, ist es denkbar, dass dieser künftig zum Beispiel am Handel mit Zertifikaten teilnimmt und stark von diesem profitiert. So könnten sich neue Geschäftsmodelle für Immobilienbesitzer:innen und -betreiber:innen auftun. Auch sind neuartige Finanzierungskonzepte im Gebäudebereich denkbar. Damit sich dies aber realisieren lässt, muss der CO2-Fussabdruck von Gebäuden nachhaltig und flächendeckend gesenkt werden.
Low Carbon Concrete, LC3, KLARK Klimabeton, CO2-neutraler Beton, Pflanzenkohle-Beton, CO2-Speicher in Gebäuden / Bauten, Bauen mit Netto Null
Ueli Angst (ETH Zürich), Robert Flatt (ETH Zürich), Barbara Lothenbach (Empa), John Provis (PSI), Karen Scrivener (EPFL)
Holcim, Jura-Cement-Fabriken, Vigier Ciment, Kalkfabrik Netstal, Sika, Zindel United