Expert:innen: Tim Börner (Empa), Nicolas Derlon (Eawag), Jeremy Luterbacher (EPFL), Roger Marti (HTA-FR), Manfred Zinn (HES-SO Valais-Wallis)
Plastik ist allgegenwärtig – und ein globales Umweltproblem. Die Herstellung basiert fast ausschliesslich auf fossilen Rohstoffen; die Entsorgung verursacht Emissionen und langlebige Abfälle. Eine mögliche Lösung liegt in der Nutzung von Abfallströmen als Ressource. Noch steht die Technologie vor technischen und wirtschaftlichen Hürden – doch das Potenzial für eine nachhaltige Kunststoffwirtschaft ist gross.
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* Aktualisierte Version des Beitrags von 2023.
Abfälle sollen als nachhaltige Kohlenstoffquelle für die Herstellung von Kunststoffen, das heisst Polymeren, nutzbar gemacht werden. Zum Einsatz kommen direkte Polymerquellen wie land- und forstwirtschaftliche Abfälle sowie Nebenströme aus der Papier- oder Holzverarbeitung. Andererseits können auch Klärschlamm und organische Abfälle aus Haus und Garten, aus der Lebensmittelindustrie und aus der Viehzucht sowie Kohlenstoffdioxid (CO2) aus Industrieabgasen und der Luft als nachhaltige Kohlenstoffquellen dienen. Allen Quellen gemeinsam ist, dass deren Qualität und genaue Zusammensetzung über die Zeit variieren.
Die organischen Bestandteile werden durch biotechnologische und / oder chemische Prozesse in Biopolymere umgewandelt. Diese können in ihrer Struktur den herkömmlichen, erdölbasierten Kunststoffen gleichen – deshalb wird das Endprodukt auch Drop-in-Bioplastik genannt – oder aus völlig neuen Grundbausteinen mit ähnlichen oder neuen Funktionen bestehen.
Obwohl Biokunststoffe nur einen kleinen Anteil des gesamten Kunststoffvolumens ausmachen, sind ihre Anwendungen doch vielfältig: Sie werden im Automobilbau für Innenverkleidungen und Akustikdämmung, in der Chemie, Elektronik und Landwirtschaft, für Verpackungen, in der Medizintechnik für resorbierende Materialien wie Fäden, bei Spielzeug – Stichwort Lego – und Textilien eingesetzt. Auch wird Bioplastik Beton zugesetzt, um Selbstheilung zu ermöglichen. Der Fokus liegt jedoch auf kurzlebigen Kunststoffen für alltagsnahe Anwendungen.
Biokunststoffe aus Abfall bieten bedeutende Chancen für die Umwelt. Der zentrale Vorteil liegt darin, dass fossile Rohstoffe reduziert oder ganz vermieden werden können. Auch ökonomisch birgt Bioplastik aus Abfällen grosses Potenzial: Die zentrale, fossile Kunststoffproduktion könnte langfristig durch dezentrale, biobasierte Systeme ersetzt werden. Es ist jedoch noch weitgehend unklar, wann dieser Wandel stattfinden wird.
Obwohl die Schweiz wegen der tiefen Marge kein Standort für die Produktion von Bioplastik im Grossmassstab sein wird, kann sie dank ihrer Exzellenz in der Grundlagenforschung eine technologisch führende Rolle einnehmen. Chancen bieten sich unter anderem bei der Erforschung und Entwicklung von Polymeren, die auf den natürlichen Strukturen der pflanzlichen Rohstoffe basieren.
Die Herstellung von Biokunststoffen aus Abfallströmen ist mit einer Reihe von technischen Herausforderungen verbunden, die derzeit einer breiten Anwendung noch im Weg stehen. Ein zentrales Problem ist die Qualität einiger Biokunststoffe. Diese reicht bislang noch nicht an die mechanischen und funktionellen Eigenschaften konventioneller, petrochemischer Kunststoffe heran. Hinzu kommt die Heterogenität der Ausgangsstoffe: Diese unterscheiden sich stark in Zusammensetzung und Qualität. Diese Variabilität erschwert standardisierte Prozesse und Produkte.
Auch die Logistik für dezentrale Ressourcen stellt eine Herausforderung dar. Während fossile Rohstoffe meist zentral gefördert und verarbeitet werden, fallen biogene Abfallstoffe meist dezentral an, was neue Infrastrukturen erfordert. Die Schweiz hat zwar im Bereich der Papier- und Zellstoffverarbeitung Erfahrung mit solchen regionalen Stoffströmen; doch das entsprechende Know-how ist weitgehend verloren gegangen und muss neu aufgebaut werden.
Nicht zuletzt besteht eine Konkurrenz um pflanzliche Rohstoffe: Materialien, die für Biokunststoffe genutzt werden, dienen teilweise auch als Futtermittel oder zur Energiegewinnung. Der Einsatz muss daher im Gesamtkontext einer Bioökonomie abgewogen werden.
Gesetzliche Regelungen führen sowohl in der Schweiz als auch international dazu, dass die Auflagen für die Zulassung von Biokunststoffen höher sind als für erdölbasierte Produkte. Entscheidungsträger:innen in der Politik haben es in der Hand, mit einer entsprechenden Regulierung die Wertschöpfung aus Abfällen zu fördern. Dazu gehören auch der Bau von Pilot- und Demonstrationsanlagen sowie Kreditgarantien für Pionierfirmen.
Unternehmen, die frühzeitig auf die Herstellung und / oder den Einsatz von Biokunststoffen aus Abfällen setzen, können mit einem Imagegewinn rechnen. Denn es ergeben sich interessante Möglichkeiten rund um das Thema Nachhaltigkeit: Die Nutzung von Bioplastik dürfte für die CO2-Bilanz von produzierenden und anwendenden Betrieben in Zukunft auch finanziell relevant werden. Zudem ist Abfall eine lokale Ressource, deren Einsatz eine gewisse Unabhängigkeit von globalen Lieferketten erlaubt.
Die für die Produktion von Biokunststoffen verwendeten Abfälle sind sehr heterogen. Entwickler:innen brauchen ein gutes chemisches Verständnis, solide Kenntnisse in Polymer- und Materialwissenschaften sowie Fähigkeiten in der Mikrobiologie. Abgerundet wird das Anforderungsprofil durch verfahrenstechnische und ingenieurwissenschaftliche Kompetenzen. Die Nutzung von biologischen Abfällen erfordert Interdisziplinarität im Team und eine entsprechende Mentalität, um in solchen Teams produktiv und effizient zu kommunizieren und arbeiten. Aufseiten der Anwender:innen sind ähnliche Fähigkeiten gefragt, wobei ein Grundverständnis ausreichend ist. Die Ausbildung an den Hochschulen und in den Lehrbetrieben bietet eine gute Basis; die Hochschulen reagieren auf die Entwicklungen mit Anpassungen in den Studiengängen. Die Verfügbarkeit von Fachkräften ist gut, reicht aber nicht bis in die Managementebenen.
Der Aufschluss von pflanzlichen Polymerquellen ist ein grundlegendes Verfahren in der Papierherstellung. Die entsprechende Industrie ist jedoch aus der Schweiz abgewandert und Fachkräfte müssen allenfalls im Ausland rekrutiert werden.
Es fehlt der interdisziplinäre Austausch zwischen Industrie und Hochschulen. Fördergefässe wie die Nationalen Forschungsschwerpunkte des Schweizerischen Nationalfonds oder die Flagship-Initiative von Innosuisse könnten hier Abhilfe schaffen.
In Bezug auf die Entwicklung schneidet die Schweiz trotz ihrer Schwäche bei der Gewinnung des Polymers Zellulose aus Holz im internationalen Vergleich gut ab. Die Stärke liegt vor allem auf den chemischen Prozessen der Kunststoffherstellung. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hat die Schweiz allgemein wenig Kompetenz in der Bioraffinerie.
Die Schweiz verfügt nur über eine kleine Kunststoff- und Papierindustrie und ist bei der Vermarktung auf internationale Kooperationen angewiesen. Die EU bietet zudem gute Basisdienste zum Beispiel hinsichtlich Kreditgarantien und Zugang zu europäischen Forschungsprojekten. Schweizer Firmen wandern vermehrt in den europäischen Raum ab. International, auch ausserhalb der EU, entwickelt sich der Markt schneller und breiter als in der Schweiz; der Druck aus der Industrie ist dort grösser als hierzulande.
Im Fokus der globalen Entwicklung stehen Anwendungen mit grossen Volumina und kleinen Margen: Dazu gehören beispielsweise Verpackungen und Additive. Auch Kunststoffe und Verbundstoffe für die Automobilindustrie und für den Bau von Infrastrukturen wie Windturbinen sind mögliche Anwendungen.
Die Schweiz setzt in Bezug auf zukünftige Anwendungen auf Hightechprodukte beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt sowie Medtech, die in kleinen Losgrössen hergestellt werden, aber eine hohe Marge versprechen. Zudem gewinnen Anwendungen in der Landwirtschaft wegen neuen EU-Regularien zu nachhaltigen Düngemitteln stark an Bedeutung. Bestrebungen zum Einsatz von Biokunststoffen für medizinische Produkte wie Stents und Herzklappen bestehen dagegen seit langem – die hohen regulatorischen Anforderungen erschweren jedoch die Skalierung.
Biokunststoffe aus Abfallströmen können einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigeren Kunststoffwirtschaft leisten. Durch den Einsatz organischer, nachwachsender Rohstoffe können fossile Ressourcen ersetzt und Emissionen reduziert werden. Die Technologie stärkt regionale Kreisläufe und eröffnet langfristig Chancen für eine dezentrale, ressourcenschonende Produktion. Gleichzeitig stehen einer breiten Umsetzung technische und wirtschaftliche Hürden im Weg: Die Materialqualität ist noch begrenzt, die Rohstoffe sind heterogen und der Aufbau entsprechender Infrastrukturen ist teuer. Für Unternehmen fehlt derzeit der wirtschaftliche Anreiz – noch beschränkt sich der Nutzen meist auf einen Imagegewinn, während die Kosten hoch bleiben. Damit sich das Potenzial voll entfalten kann, bedarf es einer gezielten politischen Förderung.
T Börner, M Zinn. (2024) Key challenges in the advancement and industrialization of biobased and biodegradable plastics: a value chain overarching perspective.
LP Manker, MA Hedou, C Broggi, MJ Jones, K Kortsen, K Puvanenthiran, Y Kupper, H Frauenrath, F Marechal, V Michaud, R Marti, MP Shaver, JS Luterbacher. (2024) Performance polyamides built on a sustainable carbohydrate core.
LP Manker, MJ Jones, S Bertella, JB de Bueren, JS Luterbacher. (2023) Current strategies for industrial plastic production from non-edible biomass.
LP Manker, GR Dick, A Demongeot, MA Hedou, C Rayroud, T Rambert, MJ Jones, I Sulaeva, M VIeli, Y Leterrier, A Potthast, F Maréchal, V Michaud, HA Klok, JS Luterbacher. (2022) Sustainable polyesters via direct functionalization of lignocellulosic sugars.
Bioplastics, Biopolymers, Biobased Plastics, Green Chemistry, Sustainable Chemicals, Lignocellulosic
Athina Anastasaki (ETH Zürich), Tim Börner (Empa), Nicolas Derlon (Eawag), Frank Ehrig (Fachhochschule OST), Holger Frauenrath (EPFL), Markus Grob (FHNW), Roland Hany (Empa), Nina Hartrampf (Universität Zürich), Hans-Peter Kohler (Eawag), Rudy Koopmans (Plastics Innovation Competence Center PICC), Jeremy Luterbacher (EPFL), Roger Marti (HTA-FR), Kristopher McNeill (ETH Zürich), Massimo Morbidelli (ETH Zürich), Raffaele Mezzenga (ETH Zürich), Bernd Nowack (Empa), Gustav Nyström (Empa), Giuseppe Perale (Supsi), Javier Pérez-Ramírez (ETH Zürich), Christian Rytka (FHNW), Michael Sander (ETH Zürich), Daniel Schwendemann (Fachhochschule OST), Claudia Som (Empa), Giulio Stefanini (Universität Bern), Francesco Stellacci (EPFL), Rémy Stoll (Kunststoff Ausbildungs- und Technologie-Zentrum KATZ), Panayota Tsotra (Kunststoff Ausbildungs- und Technologie-Zentrum KATZ), Christoph Weder (Adolph Merkle Institut AMI), Stephan Windecker (Universität Bern), Selçuk Yildirim (ZHAW), Manfred Zinn (HES-SO Valais-Wallis)
Bloom Biorenewables, Ems, Fluidsolids, Kuori, Plastogaz