Expert:innen: Rebecca Buller (Universität Bern / ZHAW), Donald Hilvert (ETH Zürich), Peter Kast (ETH Zürich), Thomas Schwander (ZHAW)
Biokatalyse bietet eine wertvolle Alternative zur klassischen chemischen Synthese. Sie kann Prozesse effizienter, spezifischer und weniger energieintensiv gestalten. Angesichts von Energiemangel und Klimawandel ist diese Technologie deshalb ein Hoffnungsträger für die Entwicklung einer grüneren Industrie und einer umfassenden Kreislaufwirtschaft. Biokatalyse könnte auch dazu beitragen, in der chemisch-pharmazeutischen Industrie teilweise eine Rückverlagerung der Produktion in die Schweiz zu ermöglichen. Die Schweiz nimmt dank ihrer industriellen Stärken und der guten Zusammenarbeit von Industrie und akademischer Forschung eine Vorreiterrolle ein.
Bild: National Cancer Institute, Unsplash
* Aktualisierte Version des Beitrags von 2023.
In der Biokatalyse werden biologische Strukturen wie Enzyme, Zellen oder Mikroorganismen zur Lenkung oder Beschleunigung von chemischen Reaktionen eingesetzt. Die Biokatalyse erfolgt typischerweise unter milden Bedingungen, zum Beispiel unter Umgebungstemperaturen oder bei neutralem pH-Wert, und ist deshalb oft schonender und nachhaltiger als die traditionelle chemische Katalyse.
Dank der Biokatalyse lassen sich auch chemisch nicht durchführbare Reaktionen erschliessen und die Effizienz bereits bestehender Reaktionen steigern. Zusätzlich ist es möglich, durch den Einsatz von Biokatalysatoren umweltbelastende Reagenzien und Lösungsmittel zu ersetzen und Nebenprodukte zu minimieren. Im Labor können enzymatische Biokatalysatoren für industrielle Anwendungen massgeschneidert werden, sodass Synthesereaktionen selektiver und dadurch ressourcenschonender und effizienter werden.
Die Biokatalyse wird für die Herstellung von Pharmazeutika, Agro- und Feinchemikalien, Aroma- und Duftstoffen sowie Lebensmitteln schon heute breit eingesetzt. Beispiele sind die Produktion von Islatravir zur Behandlung von HIV oder die enzymatische Spaltung von Penicillin G zur Herstellung von Antibiotika. Givaudan hat ein biokatalytisches Verfahren zur Herstellung des Duftstoffes Ambrofix entwickelt, der das seltene Amber aus Pottwalen ersetzt. Und DSM-Firmenich stellt mit einer mehrstufigen enzymatischen Synthese in Hefe den Duftstoff Dreamwood Base als kostengünstige Alternative zum Sandelholzöl her. Ein Beispiel aus der Pharmazie ist das Novartis-Medikament Entresto gegen Herzinsuffizienz.
Dank ihrer hohen Spezifität und Selektivität haben sich Enzyme in der Synthese von chiralen Molekülen etabliert. Als solche werden die zwei spiegelbildlichen Formen eines identischen Moleküls bezeichnet, die sich in ihrer Wirkung jedoch unterscheiden können. Solche Moleküle spielen vor allem in der Pharmazie und in der Lebensmittel- und Kosmetikproduktion eine Rolle. Mit den Methoden der synthetischen Biologie optimierte Mikroorganismen, die alle benötigten Enzyme enthalten, ermöglichen zudem weitere Anwendungen. Ihr Vorteil besteht darin, dass statt vieler chemischer Einzelreaktionen die Synthese in einem integrierten mehrstufigen Prozess erfolgt.
Fortschritte in der Bioinformatik und in den Methoden des maschinellen Lernens haben das Proteindesign und -Engineering enorm beschleunigt und das Feld der Biokatalyse in den letzten Jahren rasant vorangebracht. Dadurch können Enzyme effizienter optimiert und neue Biokatalysatoren designt werden.
Unternehmen, die Biokatalyse nutzen, profitieren von wirtschaftlichen und ökologischen Vorteilen. Die Prozesse laufen oft unter milden Bedingungen ab, was Energieverbrauch und Betriebskosten senkt. Zudem fallen weniger Abfälle an, und der Bedarf an Chemikalien sinkt, was zu einem geringeren ökologischen Fussabdruck führt.
Die hohe Spezifität und Selektivität der Enzyme reduziert zudem die Entstehung von Nebenprodukten und reduziert so den Aufwand für die Aufreinigung des Hauptproduktes. Zudem ermöglicht die Biokatalyse die Herstellung komplexer Moleküle, die chemisch schwer zugänglich sind, beispielsweise Biopolymere wie Proteine, Nukleinsäuren und Mehrfachzucker. Dadurch erschliessen sich neue Märkte, etwa in der Biopharmazeutik oder bei nachhaltigen Materialien.
Biokatalytische Prozesse können mehrheitlich in Eintopfreaktionen durchgeführt werden. Dadurch sind auch die Anforderungen an die Infrastruktur tiefer und der Rohstoffbedarf wird oft geringer. Biokatalysatoren könnten so in der chemisch-pharmazeutischen Industrie zu einem Reshoring beitragen, also eine teilweise Rückverlagerung von Produktionsanlagen in die Schweiz. Damit kann Versorgungsengpässen entgegengewirkt werden. Zudem hilft die Biokatalyse beim Erfüllen von Nachhaltigkeitsanforderungen, die am Standort Schweiz verlangt werden.
Bisherige Verfahren zur Herstellung von Biokatalysatoren wie die Methode der gerichteten Evolution oder des rationalen Designs sind zeitaufwendig. Oft verläuft die industrielle Entwicklung neuer Enzyme noch (zu) langsam, weil in vielen KMU das entsprechende Know-how fehlt oder nicht auf dem neusten Stand ist. Die Förderung eines effizienten Wissenstransfers von den Hochschulen zu den Unternehmen würde dem entgegenwirken. Je nach Industriezweig kann auch die vor allem im Bereich der Lebensmittelproduktion tiefe Akzeptanz der Schweizer Bevölkerung für die Nutzung gentechnisch veränderter Organismen die Entwicklung behindern. Politik und Wissenschaft können den Einsatz der Biokatalyse unterstützen, indem die Öffentlichkeit über die Chancen gentechnologischer Methoden aufgeklärt wird, so wie das bereits mit vielen gentechnisch produzierten hochwirksamen Medikamenten gelungen ist.
Wichtig wären auch eine gezielte Förderung der Forschung und finanzielle Anreize für KMU und Start-ups, etwa mit Programmen, die biokatalysebasierte Technologien industrieübergreifend bereits in frühen Entwicklungsphasen unterstützen. In der Schweiz gibt es keine Förderprogramme für die Biokatalyse.
In der Industrie werden Verfahren der Biokatalyse hauptsächlich in der Produktion eingesetzt. Die Schweiz ist mit ihrer starken Forschung und der Pharma- und Chemieindustrie gut aufgestellt, um die Weiterentwicklung voranzutreiben. Doch vielen KMU fehlen noch finanzielle und fachliche Ressourcen, um die Technologie zu integrieren.
Mitarbeitende in dem Bereich müssen umfassende Kenntnisse in Bioinformatik, Biochemie, Molekularbiologie, Chemie und Mikrobiologie haben. Um biokatalytische Prozesse in den industriellen Massstab zu übertragen, sind Kenntnisse in der Verfahrenstechnik notwendig. Wichtig ist auch die Fähigkeit, interdisziplinär zu denken und das Wissen aus den verschiedenen Fachgebieten zu verknüpfen.
Die Plattform Excelzyme – eine seit 2019 bestehende Kollaboration zwischen der Forschungsgruppe von Rebecca Buller und Roche –, das Kompetenzzentrum für Biokatalyse der ZHAW sowie der an der ETH Zürich und EPFL angesiedelte Nationale Forschungsschwerpunkt «Nachhaltige chemische Prozesse durch Katalysatordesign» (englische Kurzform: NCCR Catalysis) unternehmen grosse Anstrengungen, um die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Industrie zu intensivieren. Die Rückkehr der Schweiz ins EU-Rahmenprogramm Horizon Europe ab 2025 ist auch für die Forschung zur Biokatalyse sehr wertvoll.
Im Bereich der Biokatalyse ist weltweit ein harter Konkurrenzkampf im Gange, den vor allem die USA und Länder aus dem asiatischen Raum mit bedeutenden Investitionen in KI-Forschung und Methoden des maschinellen Lernens anheizen. Die Schweiz befindet sich dank ihrer leistungsfähigen chemischen und pharmazeutischen Industrien zwar in einer guten Ausgangsposition, eine verstärkte Förderung würde jedoch helfen, diese langfristig zu sichern und weiter auszubauen.
Die bisherigen Anwendungsgebiete der Biokatalyse in den Bereichen Pharmazie, Lebensmitteltechnologie und Umwelttechnik werden kontinuierlich erweitert. Technologische Innovationen ermöglichen künftig das Design von Proteinen und anderen Makromolekülen, die als Therapeutika verwendet werden können. Ein Beispiel ist das Covid-Medikament Skycovion, das in Korea und Grossbritannien bereits zugelassen ist. Darüber hinaus wird die Technologie auch das Feld der Diagnostik massgeblich mitgestalten, beispielsweise durch künstliche Rezeptoren, die in Nanoporen eingebettet kleine Moleküle detektieren. Ein anderes Beispiel ist die Herstellung künstlicher Proteinhüllen (Kapside), die mit einem spezifischen Rezeptor ausgestattet sind, um Medikamente im Körper von Patient:innen an einen gezielten Ort zu transportieren.
Biokatalyse nutzt Enzyme und zunehmend auch biologische Mikrostrukturen, um chemische Reaktionen umweltfreundlich und effizient durchzuführen. Sie spart Energie, reduziert Abfall und schafft neue, nachhaltige Produkte. Die Technologie ist ein Schlüsselfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit der Pharma-, Chemie- und Lebensmittelindustrie: Angesichts der Bedeutung dieser Sektoren für die Schweizer Exportwirtschaft hat die Biokatalyse das Potenzial, die Innovation des Landes zu fördern und den Weg der Schweizer Industrie in die Nachhaltigkeit zu beschleunigen.
S Honda Malca, P Stockinger, N Duss, D Milbredt, H Iding, R Buller. (2024) Excelzyme: A Swiss university − industry collaboration for accelerated biocatalyst development.
R Buller, S Lutz, RJ Kazlauskas, R Snajdrova, JC Moore, UT Bornscheuer. (2023) From nature to industry: Harnessing enzymes for biocatalysis.
SL Lovelock, R Crawshaw, S Basler, C Levy, D Baker, D Hilvert, AP Green. (2022) The road to fully programmable protein catalysis.
RA Sheldon, D Brady. (2022) Green chemistry, biocatalysis and the chemical industry of the future.
K Hecht, HP Meyer, R Wohlgemuth, R Buller. (2020) Biocatalysis in the Swiss manufacturing environment.
Biotechnet Switzerland. Biocatalysis and biosynthesis.
Codexis. CodeEvolver Platform.
Swiss Biotech. Swiss Industrial Biocatalysis Consortium.
ZHAW. Competence Center for Biocatalysis.
Biocatalysis, Bioinformatics, Enzyme Engineering
Rebecca Buller (Universität Bern / ZHAW), Alexandra Deliz Liang (Universität Zürich), Fabian Fischer (HES-SO Valais-Wallis), Donald Hilvert (ETH Zürich), Sven Panke (ETH Zürich), Francesca Paradisi (Universität Bern), Thomas Schwander (ZHAW), Florian Seebeck (Universität Basel), Thomas Ward (Universität Basel)
DSM-Firmenich, Givaudan, Lonza, Novartis, Roche, Syngenta