Expert:innen: Ana Bendiek Laranjo (Empa), Hanmin Cai (Empa)
Der Unterhalt von Gebäuden verschlingt viel Energie – nicht nur für Heizung und Warmwasser, sondern zunehmend auch für die intelligente Steuerung. Doch ausgediente Smartphones könnten eine innovative Lösung sein und dank ihrer Rechenpower und Kommunikationsfähigkeit bald zur Senkung der grauen Emissionen im Gebäudesektor beitragen. Was als Experiment begann, hat das Potenzial, die Zukunft der Gebäudeautomation zu revolutionieren.
Bild: Anton Maksimov (Unsplash)
Unterhalt und Betrieb des privaten, gewerblichen und industriellen Gebäudeparks verschlingen in der Schweiz jährlich rund 90 Terawattstunden Energie. Dies entspricht etwa 40 Prozent des Gesamtenergiebedarfs des Landes. Mit dem vermehrten Aufkommen von Minergie- und Passivhäusern sinkt zwar der Energieverbrauch für den Unterhalt, dafür steigt der Anteil der grauen Energie in den Gebäuden. Um das Netto-Null-Ziel 2025 zu erreichen, reichen eine stark dämmende Isolation und Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Quellen nicht aus.
Die intelligente Steuerung von Gebäuden ist zwingender Teil des Gesamtpakets: Selbstlernende Algorithmen betreiben Gebäude unter Berücksichtigung ihrer baulichen Merkmale. In die Berechnung der Heizleistung fliessen auch äussere Faktoren wie Wetter und Jahreszeiten ein. Solche Steuersysteme benötigen allerdings Hardwarekomponenten mit Rechen- und Kommunikationsleistung.
Im Jahr 2022 waren weltweit 11 Milliarden Geräte für intelligente Gebäudetechnik im Einsatz. Herstellung und Transport dieser Hardware ist ressourcen- und energieintensiv und verlagert die Emissionen vom Bau einfach auf andere Sektoren. Mit dieser Problematik ist Hanmin Cai, Gruppenleiter im Urban Energy Systems Laboratory der Empa in Dübendorf, in seiner Arbeit täglich konfrontiert. Zugleich werden weltweit jährlich rund 5 Milliarden Smartphones weggeworfen – meist wegen einer nicht mehr ausreichenden Batterieleistung, eines defekten Bildschirms oder eines Upgrades auf ein neueres Modell.
Die Geschichte von Cais Idee beginnt während der Corona-Lockdowns. Er erlebte, wie globale Lieferketten unterbrochen wurden und Chips für intelligente Gebäudesteuerungen nur noch schwer erhältlich waren. Gleichzeitig hatte er Zeit und Musse, um in seiner Sammlung alter Smartphones zu «versinken». Jedes einzelne Gerät steht für einen Lebensabschnitt des mobilen Forschers und deshalb betrachtete er es zu Beginn als Zeitvertreib, die ausgedienten Smartphones mit eigens entwickelten Algorithmen zu vernetzen und die einzelnen Lebensstationen zu einem Ganzen zusammenzufügen. Und dann mündete die Spielerei in ein Pionierprojekt mit der Leitfrage: Können ausgediente Smartphones als Steuerungseinheiten für die intelligente Gebäudeautomation dienen? Cai beschreibt seine zufällige Entdeckung so: «Ich war fasziniert von der Rechen- und Kommunikationsleistung veralteter Smartphones und begann, sie in meine tägliche Arbeit zu integrieren, wobei ich mich auf das Energiemanagement des experimentellen NEST-Gebäudes an der Empa konzentrierte.» Bald stellte er fest, dass jene Geräte, die 2018 oder später gefertigt wurden, über ausreichend Rechen- und Kommunikationsleistung verfügen, um als solche Steuerungseinheiten zu dienen.
Er spielte die von ihm mitentwickelten Algorithmen mittels Open-Source-Software auf eines seiner alten Smartphones, um die Temperatur in einem Raum des NEST-Gebäudes zu kontrollieren. Das Telefon sammelte und analysierte die aus dem Gebäude und seiner Umgebung eingehenden Daten. Im Anschluss leitete das Gerät entsprechende Anweisungen an das Gebäude, die Heizung, den Boiler, die Hausbatterie, an Lampen und Storen weiter. Und das mit Erfolg: Cai konnte so zeigen, dass die Leistung des Smartphones in Bezug auf Genauigkeit und Kommunikationsgeschwindigkeit für die Gebäudesteuerung ausreichend ist. Diese Entdeckung war ein Highlight des Pionierprojekts.
Das Schöne an diesem Ansatz ist, dass die Smartphones für die Verwendung in der Gebäudesteuerung nicht zerlegt werden müssen. Zur Erfüllung der Aufgabe werden sie bloss an das Stromnetz und die Kommunikationsnetzwerke angeschlossen. Ein kaputter Bildschirm oder eine schwache Batterie stören dabei nicht. Das hält die Kosten tief und hat den Nebeneffekt, dass die Produktgarantie gültig bleibt. Die Erfahrung zeigt, dass ein einziges Smartphone ausreicht, um ein Einfamilienhaus zu steuern: Somit wären in den meisten Haushalten die Ressourcen zur Steuerung des Gebäudes vorhanden.
Trotz der Erfolge und Ressourcen, die im Überfluss vorhanden sind, steht die Idee noch am Anfang. Für die Skalierung und den Einsatz bei Enduser:innen muss ein Kit entwickelt werden, das als Schnittstelle zwischen dem Smartphone und seiner Umgebung dient und alle losen Kabel verpackt. Denn diese erfüllen zwar in einem Labor den Zweck, sind aber in einer kommerziellen Anwendung nicht gut genug.
Ausserdem stehen Antworten auf wichtige Fragen noch aus – wie beispielsweise zur Sicherheit der Software und zur Lebensdauer einer solchen Smartphone-Installation. Nicht zuletzt ist eine umfassende Lebenszyklusanalyse unabdingbar. Schneiden wiederverwertete Smartphones in Bezug auf die generierten Emissionen tatsächlich besser ab als neu gefertigte Steuerungseinheiten? Erste Ergebnisse sind vielversprechend, selbst wenn für das Smartphone die Emissionen ab Fertigung für den primären Verwendungszweck eingerechnet werden.
An Visionen fehlt es dem Team nicht. Und für Cai, der das Projekt leitet, ist klar: «Der grösste Gewinn liegt in einem Mentalitätswandel und in der Tatsache, dass das Thema der steigenden grauen Emissionen bei immer energieeffizienteren Gebäuden Sichtbarkeit erhält.» Für ihn sind auch stationäre Anwendungen mit geringem Aufwand ausserhalb der Gebäudeautomation denkbar. Das könnten beispielsweise Roboterstaubsauger, Selbstbedienungskassen im Supermarkt, Ticketsysteme auf Parkplätzen oder Ladestationen für Elektroautos sein. Anwendungen, bei denen Daten im Hintergrund verarbeitet werden und das Aussehen sekundär ist. Smartphones stehen demnach vor einem zweiten Frühling.